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Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)

Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziebula
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lauschten, auch der junge Magister. Die Stimmen zerstreuten, die meisten Schritte entfernten sich; bis Kanonendonner sie wieder übertönte. Schritte von einem einzelnen Stiefelpaar jedoch knallten lauter aufs Pflaster, dann oben auf die Bodendielen, schließlich auf die Stufen der Kellertreppe.
    Jemand hastete in den Weinkeller herab, Susanna hörte keuchenden Atem. Die Tür sprang auf, die Kerzen flackerten – der Cousin Martin sprang in den Weinkeller, lehnte gegen die Wand, rang nach Luft. Der Tuchfärberonkel hatte den Halbwüchsigen zum Friedhof bei Sankt Peter geschickt, um zu schauen, ob man nicht doch noch bestatten könne, bevor die Sonne unterging.
    Martins große Augen flackerten panisch in einem aschfahlen Gesicht. »Die Papisten!« Er deutete durch die offene Tür zur Treppe hinauf. »Haben den Trutzbayer erobert! Schießen von da jetzt mit Kanonen auf den Trutzkaiser und den Wallschild am Speyrer Tor! Und überall stürmen sie die Mauern!«
    Keiner sprach ein Wort – bis die Tuchfärbertante den Blick hob. »Wir werden hier miteinander erdulden, was zu tragen Gott uns auferlegt hat in seiner unerforschlichen Gnade und Güte«, sagte sie leise und begann flüsternd zu beten.
    Susanna blickte von einem zum anderen: Die Tuchmachertante und die Mädchen sahen einander mit feuchten Augen und zitternden Lippen an, die Böhmische versteckte auch die letzten aschblonden Haarsträhnen unter ihrem grauen Kopftuch, den Männern und Jungen bebten die Kaumuskeln. Alles in Susanna begehrte auf. Doch sie sagte nur: »Die Weinkeller werden sie als Erstes plündern.«
    »Ich will nicht zwischen Weinfässern von Papisten erschlagen werden!« Der junge Magister schlug die Bibel zu, wandte sich zur Kellertür, rannte die Treppe hinauf.
    »Und ich will überhaupt nicht erschlagen werden!« Martin folgte ihm, und seine älteren Brüder und die Frau aus Prag liefen hinterher.
    »Hören wir doch erst einmal, ob es nicht bessere Nachrichten gibt.« Nicht dass sie wirklich daran glaubte, doch Susanna hielt es nicht mehr aus im Weinkeller bei den Toten und Hoffnungslosen. Die brennende Kerze in der Rechten, zog sie ihre lederne Tasche aus dem Stapel aus Rucksäcken und Taschen; jeder hatte darin füreine mögliche Flucht eingepackt, was ihm am unentbehrlichsten erschien. Susanna lief ins Haus hinauf und dann auf die Gasse und bis zur Hauptstraße.
    Dort rannten aufgebrachte, verstörte Menschen entweder nach Westen in Richtung Speyrer Tor oder nach Osten Richtung Marktplatz. Kanonendonner und Geschrei erfüllten die Luft, Aufregung herrschte und ein großes Durcheinander.
    Martin und sein älterer Bruder blieben dicht bei Susanna und der Böhmischen. »Keiner kann mehr auf den Mauern kämpfen vor lauter Kanonenkugeln!«, rief ihnen ein Nachbarjunge zu, der aus der Vorstadt vom Speyrer Tor gelaufen kam. »Die Bayrischen haben sämtliche Wallschilde überwunden, sind schon in den Vorwerken, rennen gegen das Speyrer Tor an!«
    Nein, keine besseren Nachrichten hörten sie – schlimmere. Und ein niederschmetterndes Gerücht: Der Stadtgouverneur van der Merven habe die kleine Pforte zu den Wehranlagen vor dem Speyrer Tor verriegeln lassen, damit Tillys Waffenknechte den fliehenden Kämpfern der Bürgerwehr und der Stadtgarnison nicht folgen konnten. Dafür hieben sie nun gnadenlos auf die ausgesperrten Kurpfälzer, Engländer und Bürgerwehrleute ein.
    Daher also die aufgebrachten Menschen, die zum Tor wollten, wo ihre Männer und Söhne erschlagen wurden. Susanna biss sich auf die Lippen, konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Vermochte das überhaupt noch jemand in Heidelberg? Überall das Geschrei, überall die Gebete, die Flüche, der Kanonendonner, die wie kopflos umherrennenden Menschen. Die Böhmische packte so fest ihre Hand, dass es schmerzte. Auch ihre Cousinen waren auf einmal da, drückten sich an sie, zerrten an ihrer Wolljacke.
    Und dann ein Ruf, der das panische Gewimmel einen Wimpernschlag lang erstarren ließ: »Krabaten!« Eine kräftige Männerstimme schrie das, und es klang wie der Posaunenstoß des Erzengels am jüngsten Tag. »Krabaten reiten durch den Neckar! Sind schon in die Vorstadt eingefallen!«
    Und wie die Posaune des Erzengels am jüngsten Tag wirkte die Nachricht auch: Niemand wollte jetzt mehr zum Speyrer Tor; viele rannten in wilder Flucht zum Markplatz, um sich in der Heilig-Geist-Kirche zu bergen; andere wandten sich nach Norden, suchten ihr Heil im Versuch, das Neckarufer zu erreichen;

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