Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
plötzlich seinen Degen in der Hand. Lauretta schleuderte ein Messer auf ihn, was in seiner rechten Schulter stecken blieb. Er brüllte einen englischen Fluch und ließ den Degen fallen. Ein Holzscheit traf ihn am blutigen Kopf, ein zweites im Nacken.
David packte den Degen und schlug Hacker, der inzwischen seinen Dolch gezogen hatte, die flache Klinge mit aller Kraft erst gegen die Schläfe, dann gegen die Messerhand. Fluchend taumelte der kleine Fähnrich neben Stephan gegen die Wand, wo er sich jammernd die verletzte Hand hielt. Marianne hatte längst den Degen des bewusstlosen Schotten mit beiden Händen gepacktund setzte die Spitze dem völlig verblüfften Holländer auf den Hals.
»Heiliger Mustafa«, stöhnte Stephan. »Was tut ihr da? Seid ihr denn ganz und gar von Sinnen? Wollt ihr eure Köpfe neben Rübelraps rollen sehen?«
Unwillkürlich versuchte David, sich das vorzustellen. »Dazu kann es jedenfalls nicht kommen, Herr Pantalon.«
»Heiliger Strohsack«, lallte Hacker, »lasst uns doch zusammenhalten in diesen schweren Zeiten …«
David wechselte einen Blick mit Marianne, keiner sagte ein Wort. Jeder wusste genau, was der andere dachte: Wir bringen das hier zu Ende, oder wir kommen um. Es geschah selten, dass David sich so perfekt mit der Landgräfin verstand, eigentlich nur auf der Wagenbühne.
»Seid ihr denn tollwütig geworden?« Wie zum Himmel flehend, streckte Stephan die Arme über den Kopf. »Wir müssen sie doch gehen lassen!« Der Directeur de la Compagnie raufte sich die Haare. »Wollt ihr sie etwa umbringen?«
»Wir wollen noch ein bisschen leben«, zischte Marianne.
Lauretta stürzte an den Tisch, packte den Bescheid des Generalprofos mit den Zähnen und trug ihn zum Herd. Dort nahm sie ihn mit den Zehen des linken Fußes aus dem Mund und legte ihn auf die noch glimmende Holzasche.
»Und jetzt?« Stephan rang die Hände, leichenblass war er. »Was sollen wir denn jetzt tun?« Mit pathetischer Geste wies er auf die angeschlagenen Soldaten.
»Wir fesseln sie und legen sie zu den Tieren in den Stall«, schlug David vor. »Die Tanzbären und der englische Hund werden schon dafür sorgen, dass sie nicht schreien.«
»Bitte nicht«, jammerte der stöhnende Hacker. »Bitte, bitte nicht zu den Bären …«
»Und dann?« Stephan machte ein Gesicht, als traute er seinen Ohren nicht. »Und was dann? Sie werden sie suchen!«
»Sie werden erst einmal versuchen, die Papisten zu vertreiben«, sagte Lauretta. »Das braucht grad jeden Mann.«
»Und wenn sie das nicht schaffen, dann kommt Tilly mit seinen Schlächtern in die Stadt«, erklärte Marianne. Ganz ruhig war sie, ihre Miene völlig kühl. »Und wir werden uns nicht allzu unbeliebt beim ihm machen, wenn wir ihm ein paar kurpfälzische Soldaten als Gefangene anbieten.«
*
Er solle am Nachmittag im alten Rittersaal warten, hatte der Feldprediger gesagt, der Obrist wolle ihn sprechen. Warum, wusste er nicht. Oder hatte der Prediger es nicht sagen wollen? Nun saß er an der hinteren Schmalseite des Saals neben dem Durchgang zur Turmtreppe auf einer Bank und wartete. Immer dunkler wurde es, dabei war es noch lange hin bis Sonnenuntergang. Eine Magd lief durch den Saal, entzündete die Kerzen an den Wandleuchtern. Er wartete länger als eine Stunde. Regen rauschte vor den Fenstern.
Drei Männer betraten schließlich den langgestreckten Raum, der Feldprediger, der Obrist und ein Feldwebel. Man steht auf, wenn Herrschaft hereinkommt, hatte sein Vater ihn gelehrt. Hatte es ihm etwas genützt? Nein, erschlagen hatten sie ihn. Er stand trotzdem auf. Draußen tobte inzwischen ein Gewittersturm.
Der Feldprediger hieß David Forgeon, der Obrist Bartholomäus Schmid. Er stammte aus dem französischen Sedan, wo Verwandtschaft des Kurfürsten residierte. Der alte Rittersaal des Dilsberger Schlosses war lang, wie gesagt, die Saaltür lag ganz vorn, und die Männer ließen sich Zeit; sie schlenderten, hatten allerhand zu bereden, wie es aussah, beachteten ihn zunächst gar nicht.
Über Heidelberg sprachen sie, und er spitzte die Ohren. Wenn die Donnerschläge für kurze Zeit verhallten und der Orkan nicht allzu heftig gegen die Fenster peitschte, verstand er ganze Sätze:Die Wehranlagen hielten, vergeblich stürmte Tillys Armee bisher gegen Schloss und Stadtmauern an; vom Heiligenberg und von den niedergebrannten Dörfern aus schossen die Belagerer mit Kanonen in die Stadt hinein, trafen aber häufig nur den Neckar.
»Der Fluss ist die
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