Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
Achillesferse der Residenzstadt«, hörte er den Obristen Schmid sagen. Der sprach mit französischem Akzent. »Zu schlecht befestigt, zu wenige Schanzen! Merven hält den Neckar für eine Art natürlichen Burggraben. Narr!« Und dann standen sie vor ihm.
»Das ist der Mann«, sagte der Feldprediger. »Unsere Jäger fanden ihn mit drei Kugeln im Rücken. Viele Wochen hat er gegen Blutverlust und Wundfieber gekämpft – bis es dem allmächtigen Gott gefiel, ihn von der Schwelle des Todes zurück ins Leben zu reißen. Obwohl er noch geschwächt ist, gehörte er zu den wenigen, die sich am Donnerstag freiwillig gemeldet haben.«
»Ich wollte ihn erst gar nicht vor die Mauer lassen«, ergriff der Feldwebel das Wort. »Doch er bestand darauf – und ist als Erster mit dem Seil über den Fluss geschwommen.«
Der Festungskommandant nickte, musterte seine kräftige, hochgewachsene Gestalt und sah ihm schließlich ins Gesicht. »Ich habe mir bereits alles erzählen lassen.« Bartholomäus Schmid hatte hellwache braune Augen; Augen, die genau hinschauten und alles sahen. Ein schlichter grauer Reitermantel hüllte ihn ein. Darunter trug er einen Brustharnisch, unter dem Knie geschnürte, ehemals schwarze Hosen und hohe Stiefel ohne Sporen. Ein kleiner schwarzer Lederhut mit einer Hahnenfeder bedeckte sein kurzes graues Haar. Ein langer Degen hing im Waffengurt an seiner linken Seite und an seiner rechten ein eiserner Schlachtkolben. Dutzende Bayern habe er damit erschlagen, erzählte man sich in der Festung.
»Ein Pfälzer ohne Falsch.« Der Obrist Schmid legte ihm die Hand auf die Schulter und nickte anerkennend. »Brav, wie Er ans Nordufer hinübergeschwommen ist und das Seil an den Weidendrüben festgebunden hat. So konnten wir die Flöße mit den Barrikaden auf den Fluss ziehen und den bayrischen Verband anhalten. Und dann in Ruhe unsere schweren Stücke abfeuern. Vierzehn Nachen und fünf Schiffe liegen seitdem am Neckargrund. Und ein Teil ihrer Ladung erfreut jetzt unsere Soldaten und die Bürger von Dilsberg. Er muss Seinen Kurfürsten sehr lieben, dass Er so viel gewagt hat.«
»Man liebt seine Frau, hat mein Vater gesagt, und danach seine Kinder, sein Vieh und seinen Weinberg. Und ich hasse die bayrischen Krieger, Herr Obrist.«
Schmid zog überrascht die grauen Brauen hoch, sein Feldprediger senkte den Blick, und der Feldwebel schmunzelte in sich hinein. Beide kannten ihn schon; der Prediger hatte viele Tage und Nächte bei ihm gesessen, als er noch fieberte. Ein Blitz tauchte den Saal in giftiges Licht, Donner rollte das Neckartal herauf und hinunter.
Der Blick des Obristen schien ihn ganz genau erforschen zu wollen. Er hielt ihm stand. »Hass ist kein guter Grund, wenn man den Tod zum Tanz auffordert. Ist es vielleicht auch der Hass, der Ihn so traurig aussehen lässt?«
»Nein.« Eine Orkanböe warf sich gegen die westliche Fensterfront. Glas klirrte, Holzrahmen klapperten, Kerzenlicht flackerte. Er schluckte. »Nicht allein der Hass.«
»Er kann lesen und schreiben«, beeilte sich der Feldprediger zu sagen.
»So?« Schmid tat überrascht. »Ich dachte, er sei der Sohn eines Bauern?«
»Das bin ich, Herr Obrist. Der Sohn eines Bauern. In der Knabenschule von Handschuhsheim haben sie mich gedroschen, bis ich lesen und schreiben konnte. Danach habe ich in Ladenburg das Zimmermannshandwerk gelernt. Dem Pfarrer dort verdanke ich beides.«
»Ein Zimmermann also. Ein Zimmermann, der liest undschreibt. Und ein Pferd hat Er auch im Festungsstall stehen.« Es klang, als würde der Obrist laut denken; dabei schaute er seinen Feldwebel an. »Zimmerleute und Maurer werden wir nicht genug haben können, wenn dieser böse Krieg einmal vorbei sein wird. Solange er aber tobt, brauchen wir Soldaten. Ich nehme Ihn in mein Regiment auf.« Der Obrist streckte ihm die Rechte entgegen. »Zunächst als Gefreiter. Schlägt Er ein?«
Er betrachtete die ausgestreckte Hand, fühlte sich überrumpelt. »Soldat? Ich?« Er musste gegen die Versuchung kämpfen, die Hand des Obristen gleich zu ergreifen. »Ich muss aber nach Heidelberg, Herr Obrist.«
Der Feldprediger schien den Atem anzuhalten, der Feldwebel runzelte die Stirn, der Obrist aber lächelte. Ein leicht bitteres Lächeln war das. »Eines schließt das andere nicht aus, Gefreiter.« Er zog seine Hand nicht zurück. »Allerdings lassen Tillys Schlächter derzeit niemanden das Neckartal hinunterreiten, und Heidelberg ist ganz und gar verriegelt und eingeschlossen. Doch
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