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Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)

Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziebula
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manche knieten an Ort und Stelle nieder, falteten die Hände und beteten; etliche brachen einfach jammernd zusammen, und andere rannten zu ihren Häusern, um ihr Hab und Gut oder sich selbst oder beides zu verstecken.
    In der allgegenwärtigen Verwirrung folgte Susanna einfach dem Zerren und Ziehen der Cousinen und der böhmischen Frau, fand sich auf einmal inmitten einer Schar rennender junger Leute wieder, die weiter nichts als Panik zurück zu ihrer Familie in den Weinkeller trieb.
    Dort versuchte der Tuchfärberonkel, die Tanten zur Flucht aus dem Haus und in die Peterskirche zu überreden. Die Witwe des Tuchmachers weigerte sich hartnäckig. »Angesichts der beiden Toten werden sie sich nicht an uns vergreifen«, hörte Susanna sie sagen, und ihre Stimme erschien ihr wie eine Stimme aus einem Fiebertraum, der sie nichts anging, überhaupt nichts.
    »Wenn sie mit euch fertig sind, werden sie sich auch an den Toten vergreifen!« Die Stimme der Böhmischen klang hart und unerbittlich. Alle starrten sie an.
    Der Onkel nickte und drängte seine Frau zur Kellertreppe, seine Schwägerin jedoch wollte nicht auf ihn hören. »Ich bleibe hier unten im Weinkeller bei Anna und bei meinem Ehegatten. Möge Gott mir an ihrer Seite einen schnellen Tod schenken.« Und dann wandte sie sich an ihre Töchter und an Susanna. »Lauft. Vielleicht schafft ihrs zur Mönchsmühle, oder wenigstens zur Herrenmühle. Springt in den Neckar und versucht euch zu retten!«
    Susanna verschlug es den Atem; sie stammelte und suchte nach Worten. Die Böhmische legte den Kopf in den Nacken, deutete ins Gewölbe, und jetzt fiel es allen auf: Die Kanonen schwiegen.Und endlich wollten Susanna die Worte über die Lippen: »Ich kann doch nicht schwimmen«, flüsterte sie.
    »Der Neckar führt seit Tagen Niedrigwasser«, sagte Martin leise. »Nur deswegen konnten die Krabaten in die Vorstadt reiten.«
    »Niedrigwasser oder Hochwasser: Besser ertrinken als erdulden, was bald jede Heidelbergerin treffen wird, die den Bayern oder – Gott sei uns gnädig! – Kroaten und Kosaken in die Hände fällt.« Die Tante wandte sich ab und faltete die Hände zum Gebet. Susanna folgte den anderen wieder die Treppe hinauf. Die Kerze in ihrer Hand brannte noch immer.
    *
    Da standen sie vor dem Feldherrenzelt und wollten verhandeln, acht gebeugte Männer aus der nahezu besiegten Stadt. Es fehlte nicht viel und sie hätten zu winseln begonnen. Kein übler Anblick, wahrhaftig! Von Herzenburgs Lächeln bekam etwas Spöttisches.
    Gar nicht weit Neckar aufwärts, vielleicht zwei Karabinerschüsse entfernt, preschten hunderte Reiter zum westlichen Stadttor, das tapfere Landsknechte schon gestürmt und erbrochen hatten. Und hinter den Mauern, in der Vorstadt am Neckarufer, loderten Flammen und stieg Rauch in den Abendhimmel.
    Jawohl! Das war ein Anblick ganz nach dem Herzen des Rittmeisters. Und wie er heimlich in die Runde lugte, fand er keinen Offizier, der nicht zufrieden aussah.
    Nur der dünne, kleine Mann im Eingang des Zeltes, der General, der blickte ernst. Furchtbar ernst. Das graue Haar zurückgekämmt, wirkte seine schmale Stirn sehr hoch; der Spitzbart und der dünne, nach oben gezwirbelte Schnurrbart ließen sein knochiges Gesicht noch spitzer erscheinen, als es sowieso schon war. Zur Feier des Tages hatte der Wallone eine blank polierte Rüstung angelegt. Die kleine, steife Halskröse quoll blütenweiß aus dem Brustharnisch.
    »Verhandeln?«, presste er hinter geschlossenen Zähnen und kaum geöffneten Lippen heraus. »Jetzt noch?«
    Der Offizier aus Heidelberg und sein Trommler traten einen Schritt auf ihn zu, verbeugten sich recht artig, und der Offizier streckte dem General Tilly ein zusammengerolltes Schreiben entgegen. Ein eleganter Mann – er hieß Rudolph von Mosbach und war Capitän der Heidelberger Schlosswache, wenn von Herzenburg alles richtig verstanden hatte. »Mein Obrist, der Gouverneur von Heidelberg Heinrich van der Merven, bittet untertänigst darum«, sagte er heiser. »Um der Bevölkerung willen.«
    Maximilian von Herzenburg betrachtete die sechs Männer hinter den beiden kurpfälzischen Soldaten. Angehörige der Universitätsleitung, hieß es, und des Magistrats von Heidelberg. Sie wirkten nicht glücklich – weiß Gott nicht! –, und er hätte zwei Reichstaler darauf gesetzt, dass sie spätestens jetzt bedauerten, im vergangenen Sommer nicht nach Bretten oder Durlach geflohen zu sein wie so mancher andere Heidelberger von Rang und Namen.

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