Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
wenn Gott uns gnädig ist, wird sich das bald ändern, und dann sehen wir weiter.«
Grelles Licht flammte durch den Rittersaal, der Donner krachte, als würde der Festungsturm zusammenstürzen. Er ergriff die ausgestreckte Hand des Obristen und drückte sie.
»Sehr gut, mein Junge.« Bartholomäus Schmid lächelte nicht mehr, wirkte nun sehr ernst. »Ich brauche jeden guten Mann unter meiner Fahne. Hat Er einen Mantel?« Er schüttelte den Kopf. Sein Wams und seinen Wollmantel hatte er sich auf der Flucht vor den bayrischen Reitern vom Leib gerissen, weil glühende Kugeln darin stecken geblieben waren und der Schmerz ihn gequält hatte.
Der Obrist wandte sich an den Feldwebel: »Man gebe ihm Kasack und Koller und die Waffen eines Dragoners. Dazu zahle man ihm seinen ersten Monatssold aus. Und dann lehre man ihn schießen und fechten.« Und wieder an seine Adresse: »Und sobald Er darin geschickt genug ist, befördern wir Ihn zum Corporal.«
Sprach’s, ließ seine Hand los und machte kehrt. Im Weggehen drehte der Obrist sich noch einmal um. »Wie war Sein Name gleich?«
»Stein, Johannes.«
»Wir nennen ihn ›Hannes‹«, sagte der Feldprediger.
2
A m Abend zuvor hatten der Tuchfärberonkel und seine Gesellen vier noch halb volle Fässer mit Wein vom Vorjahr aufgerichtet und zwei Türen darübergelegt. So aufgebahrt lagen die beiden Toten nun im Weinkeller. Alle standen drum herum. Susanna hielt eine brennende Kerze in der Hand, die Tanten und die böhmische Hure auch. Die kleineren Cousinen und Cousins weinten leise. In den Gassen oben hörte man die Einschläge der Kanonenkugeln und Stimmen und Schritte, die sich rasch näherten und ebenso rasch wieder entfernten. Manchmal bebten Boden und Wände.
Ein junger Mann mit abgegriffenem Hut und in schäbigem schwarzen Rock las einen Psalm aus der Heiligen Schrift vor, ein Magister der Theologie. Im Jahr zuvor hatte er noch an der Universität studiert. Die Mienen des Onkels, seiner Gesellen und der älteren Cousins sahen aus wie aus schmutzigem Kalkstein gehauen, die Tuchfärbertante hielt die ganze Zeit den Kopf gesenkt und drückte sich ein Wolltuch ins Gesicht, die Tuchmachertante hatte sehr große und sehr leere Augen. Ihr Unterkiefer zitterte fast immer, wenn Susanna zu ihr hinüberäugte.
Susanna fröstelte. Es war kalt im Weinkeller, ja, doch noch viel kälter fühlte es sich tief drinnen in ihrer Brust an. Sie hatte gesehen, was gestern geschehen war, sie sah jetzt die Toten – doch was ihre Augen gesehen hatten und sahen, reichte noch nicht bis in ihr Herz. Sie konnte es nicht begreifen, und weinen konnte sie auch nicht.
Zwei Öllampen hingen im Gewölbe über der Bahre, ihr Lichtschein fiel auf die Gesichter der Toten. Anna lächelte, als würde sie etwas Schönes träumen, dem Tuchmacheronkel hatten sie denzerschmetterten Kopf verbunden und nur Nasen- und Mundpartie frei gelassen. Die sahen aus, als hätte der Onkel gerade auf etwas Saures gebissen, als der schwere Stein ihn traf.
Diesen Vormittag hatten beide Familien zum Friedhof hinter der Peterskirche gehen wollen und die Toten begraben. Doch seit dem Morgen schossen wieder Kanonen in die Stadt hinein. Von allen Hängen nördlich und südlich über Heidelberg krachte es, und nun auch von Westen, von der Rheinebene aus. Es war später Freitagnachmittag, die zweite Septemberhälfte begann.
Die Kanonen auf dem Gaisberg und dem Königsstuhl richteten die größte Zerstörung in der Stadt an. Vor zehn Tagen hatten Tillys Soldaten sie mit Hilfe vieler Bauern aus Speyer und ganzer Herden von Ochsen und Pferden dort hinaufgeschafft. Dutzende Heidelberger waren seitdem in von Eisenkugeln zertrümmerten Gebäuden oder unter zusammengestürzten Mauern auf Straßen und Höfen umgekommen. Gestern auch Anna und der Tuchmacheronkel. Der Onkel räumte gerade die Werkstatt im Nachbarhof aus, um seinen Webstuhl darin aufzuschlagen, und Anna wollte ihn zum Essen holen. Vier Kugeln schlugen nacheinander ein, jede über vierzig Pfund schwer, eine in der Werkstatt, drei in der Stadtmauer darüber.
Beim Nachbarn trauerte man um drei Tote. Um die beiden Schotten, die in den Trümmern des Schweinestalls gestorben waren, trauerte niemand.
»›Wird denn der Herr auf ewig verstoßen und keine Gnade mehr erweisen?‹«, las der junge Magister mit näselnder Stimme. »Ist’s denn ganz und gar aus mit seiner Güte …?«
Plötzlich näherten sich oben in der Gasse lautere Stimmen und mehr Schritte als zuvor. Alle
Weitere Kostenlose Bücher