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Der Gebieter

Der Gebieter

Titel: Der Gebieter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Whalen Turner
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brauchen.«
    »Falls dein Vater beschließt, dass er eine jüngere Frau benötigt, ich verstehe. An wen ist der andere Brief?«
    »An Sejanus. Überbringst du ihn, wenn der König es gestattet? Ich habe versucht, ihn zu besuchen, aber sie haben mich nicht zu ihm vorgelassen. Niemand darf mit ihm sprechen.«
    Kos erklärte sich dazu bereit. Schließlich erschien der Kapitän des Schiffes, um alle von Bord zu scheuchen, die nicht vorhatten, mit zur Halbinsel zu segeln. Das Schiff hielt auf Thegmis zu, und die Dunkelheit senkte sich herab.
     
    In der ummauerten Stadt, im ummauerten Palast  – darunter, wo es stank und es keine Luft bis auf die gab, die wie versehentlich
durch kleine Öffnungen eindrang, die auf einen der wenigen Lichtschächte hinausgingen  – spielte die Dunkelheit kaum eine Rolle. Am Tag hatten brennende Lampen vor der Zelle das einzige Licht überhaupt gespendet. Sejanus saß mit dem Rücken an die rauen Steine der Wand gelehnt. Er hatte Glück. Er war privilegiert. Er hatte eine Matratze auf seiner Steinbank; er hatte ein Fenster  – nicht größer als sein Gesicht und vergittert  –, das auf einen Luftschacht hinausging, der wie ein Schornstein zur Erdoberfläche führte. Er war nicht angekettet. Von Zeit zu Zeit ging er zum Fenster hinüber und zog sich an den Gitterstäben hoch, um sein Gesicht nahe heranzuführen und einen Atemzug zu tun, der nicht von Kerkergerüchen geschwängert war.
    Als der Wärter ihm etwas zu essen brachte, fragte er nach seinem Bruder, ja, er flehte um Nachrichten über ihn, aber der Mann wollte nichts sagen. Er stellte das Essen ab und ging.
     
    Baron Erondites nahm in seiner Villa, umgeben von stillen Feldern und den gelegentlichen Lauten der Tiere in Stall und Scheune, in selbstvergessener Zufriedenheit sein Abendessen ein; er ahnte nichts von dem Boten, der auf einem schnellen Pferd zu ihm unterwegs war. Die Nacht wurde älter, die Dunkelheit kühler und dämpfte die Geräusche des Landguts wie der Stadt. Baron Erondites ging zu Bett, zufrieden mit seinem Tag. In der Stadt wurde es ruhig im Palast. Sejanus schlief endlich ein, und so auch Dite, gewiegt von den Wellen des weindunklen Meers.
     
     
    Im Krankensaal des Palasts schien der Mond durch die Bogenfenster. Die Lampe neben dem einzigen belegten Bett brannte auf kleiner Flamme, und die Dunkelheit sammelte sich in den Ecken des Raums und den Vertiefungen der hohen Decke. Relius
lag wach. Er hatte gehört, wie sich die Tür am gegenüberliegenden Ende des Saals geöffnet und geschlossen hatte, und sah zu, wie der König den großen Raum durchquerte und zu ihm kam. Seine Schritte waren so lautlos wie das Mondlicht, das durch die Fenster schien, und auch der Hocker schrammte nicht über den Boden, als er sich darauf niederließ und den Fuß um eines der drei Beine schlang. Er hätte ein Traum sein können, und Relius war sich nicht sicher, ob er nicht auch wirklich einer war.
    Relius räusperte sich und flüsterte: »Ich habe gehört, dass Ihr Euch nachts unbegleitet durch den Palast schleicht.«
    »Früher vielleicht«, gestand der König. »Aber nicht heute Nacht.«
    Als Relius mühsam den Kopf vom Kissen hob, konnte er im schwachen Licht auf der gegenüberliegenden Seite des Saals einige Gestalten erkennen.
    »Meine Strafe dafür, dass ich im Garten spazieren gegangen bin, obwohl ich wusste, dass er nicht durchsucht worden war«, sagte der König. »Ich habe versprochen, sie bei mir zu behalten.«
    Relius sagte nichts.
    »Das Versprechen werde ich halten, bis ich weiß, dass ich damit durchkommen kann, es zu brechen«, sagte der König. »Bis dahin dauert es wohl noch eine Weile. Sie war«  – er suchte nach dem passenden Ausdruck und wirkte, als ob er erzürnt , aufgebracht und fuchsteufelswild in Erwägung zog und doch nicht aussprach   – »nicht erfreut.«
    Relius sagte noch immer nichts. Er wartete.
    Der König wusste das. »Euch ist schon vor einer Weile aufgefallen, dass das hier eine gute Rache wäre.« Er hob einen Arm, um auf den leeren Saal ringsum zu weisen. »Eine Nacht hier auf sauberen Laken, gewärmt vom Kohlenbecken, eine Lampe neben Euch, um alle Schrecken zu verscheuchen, und dann, am
Morgen, zurück in die Kälte und Dunkelheit einer dieser kleinen Zellen unter dem Palast.«
    Es war, als würde der König Relius die Gedanken an einer Schnur aus dem Kopf ziehen.
    Relius musste zweimal ansetzen, um etwas herauszubringen. »Ist es das also?«, flüsterte er. Er drehte den

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