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Der Gebirgspass

Der Gebirgspass

Titel: Der Gebirgspass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirill Bulytschow
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in Versuchung geraten.“
    Oleg hatte mächtig zu kämpfen. Er schüttelte das Holz aus Thomas’ Sack — er hatte schon am eigenen genug zu schleppen. Seine Schultern schmerzten, und er schnappte nach Luft.
    Sie legten eine Tagesrast ein, eine lange, denn alle waren von Kräften, Thomas aber schwankte schon im Laufen, so daß man ihn unwillkürlich stützen wollte. Sein Gesicht war gerötet, die Augen halb geschlossen, doch er setzte halsstarrig ein Bein vors andere, hin zum Gebirgspaß, zu seinem Paß, der für ihn mehr bedeutete als für die übrigen.
    Etwa zwei Stunden nach der Rast wurde Thomas unruhig. „Wartet mal“, sagte er, „hoffentlich sind wir nicht vom Weg abgekommen. Hier müßten Überreste unsres Lagers sein, ich erinnere mich genau an diesen Felsen.“
    Thomas setzte sich auf einen Stein, entfaltete mit zitternden Händen die Karte und fuhr mit dem Finger die Linien entlang. Dick konnte nichts damit anfangen, er ging voraus in der Hoffnung, ein Wild zu schießen. Oleg hockte sich neben Thomas auf den Boden.
    Die Karte war mit Tinte in einer Zeit gefertigt worden, als es noch Tinte in der Siedlung gab — eine zähflüssige Paste, mit der die Federhalter gefüllt wurden. Oleg hatte diese Füller gesehen, nur schrieben sie damals schon nicht mehr.
    Die Karte stammte aus einer Zeit, als die ersten Häuser im Dorf gebaut wurden und man noch der Meinung war, bei der erstmöglichen Gelegenheit zum Paß zurückzukehren. An dieser Karte hatten alle Anteil gehabt.
    „Wir befinden uns jetzt hier“, sagte Thomas.

    „Schon mehr als die Hälfte des Weges liegt hinter uns.
    Ich hätte nicht gedacht, daß wir so schnell vorankommen.“ „Das Wetter ist gut“, sagte Oleg.
„Allem Anschein nach haben wir an dieser Stelle
    übernachtet. Es müßte Spuren geben, aber sie fehlen.“ „Es sind viele Jahre vergangen“, gab Oleg zu bedenken. „Nun also … die Felsengruppen …“ murmelte Thomas.
    „Drei Felsen, nein vier … Ach ja, beinahe hätte ich’s vergessen“, er drehte sich zu Oleg um. „Nimm das hier. Du mußt es unbedingt bei dir tragen. Ohne dieses Gerät darfst du keinen Schritt ins Raumschiff tun, das weißt du doch?“
    „Ja. Es ist ein Strahlungsmesser, nicht wahr?“ „Genau. Du kennst den Grund, weshalb wir das Schiff schnell verlassen mußten. Wegen der starken Strahlung. Und der Frost tat ein übriges.“
„Sollten Sie nicht ein bißchen schlafen?“ fragte Oleg. „Es fällt Ihnen doch schwer. Wir brechen später auf.“
„Nein, wir dürfen uns nicht aufhalten, das würde den Tod bedeuten. Ich trage für euch die Verantwortung … Wo ist bloß das Lager … Wir hätten eigentlich tiefer graben müssen, als wir die Toten beerdigten, aber die Kraft reichte nicht. Und trotzdem, verstehst du, wir hätten sie tiefer vergraben müssen …“
Oleg konnte Thomas, der plötzlich vom Stein kippte, gerade noch auffangen.
Dick kam zurück, beobachtete vorwurfsvoll, wie Oleg den Kranken in Decken wickelte und Marjana hastig Feuer machte, um die Mixtur aufzuwärmen. Dick schwieg, doch Oleg hatte den Eindruck, als wiederhole er lautlos: ‚Ich hab euch gewarnt.‘
Oleg schraubte die Kappe der Feldflasche ab, roch am Kognak — es war ein herber, nahezu angenehmer Duft, trotzdem empfand er kein Verlangen, davon zu kosten. Das war wohl mehr eine Medizin, als zum Trinken gedacht. Er führte die Flasche vorsichtig an Thomas’ zusammengepreßte Lippen, der Kranke flüsterte etwas, das Oleg nicht verstand, schluckte dann aber und sagte aus unerfindlichem Grund „Skål“.
Sie konnten den Weg erst in der Dämmerung fortsetzen. Thomas war wieder zu sich gekommen, sie wickelten ihn in Decken, seinen Sack übernahm Oleg, die Armbrust Dick. Wegen dieser Unterbrechung liefen sie, oder genauer kraxelten sie nicht länger als zwei Stunden am Hang entlang, der von riesigen, rutschenden Steinen bedeckt war. Dann wurde die Sicht schlechter, und sie mußten sich ein Nachtquartier suchen.
Es wurde wieder kälter. Der Himmel besaß hier eine ganz andere Farbe — war nicht einfach grau, wie im Wald, sondern nahm gegen Abend eine alarmierende Tönung an: rötlich–violett. Das erschreckte sie, denn ein solcher Himmel verhieß nichts Gutes.
Sie verspürten den unwiderstehlichen Drang zu essen, Oleg hätte sogar Steine gekaut. Die unverschämte Ziege aber, kaum daß sie die Säcke von den Schultern in den Schnee geworfen hatten, lief hin und wühlte mit dem Maul darin, so als hätten die Leute nur eins im Sinn:

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