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Der Gebirgspass

Der Gebirgspass

Titel: Der Gebirgspass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirill Bulytschow
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schräg in den Schnee gedrückt, genau im Zentrum des Talkessels. Der Kommandant hatte das Schiff gerade noch bis hierher manövrieren können, als nach einer Explosion im Triebwerk die Instrumente versagten. Er landete mit seinem Schiff in diesem Talkessel bei Schneesturm, Nacht und Nebel zu einer Zeit, da bitterer Winter herrschte.
Sie standen nebeneinander. Drei zerlumpte, entkräftete Wilde, die Armbrust auf der Schulter, den Sack aus Tierhäuten auf dem Rücken, drei abgerissene, von Frost und Schnee versengte, vor Hunger und Erschöpfung schwarz gewordene Menschen, drei mikroskopisch kleine Gestalten in dieser fremden, riesigen, leeren und stummen Welt, und starrten auf das tote Schiff, das vor sechzehn Jahren auf den Planeten gestürzt war, ohne jemals wieder aufsteigen zu können.
Dann begannen sie den Abstieg über den Steilhang, sich an Steinen festklammernd, bemüht, auf dem unsicheren Geröll nicht ins Laufen zu kommen. Und doch, und obwohl ihnen die Beine fast den Dienst versagten, rannten sie immer schneller.

    Nach einer weiteren Stunde waren sie auf der Talsohle angelangt.
    Vor sechzehn Jahren war Oleg reichlich ein Jahr gewesen, Dick knapp zwei, Marjana aber noch gar nicht auf der Welt. Und so wußten sie natürlich nichts mehr von der Landung des Forschungsschiffes „Pol“ hier in den Bergen. Ihre ersten Erinnerungen waren mit der Siedlung verbunden, mit dem Wald; das Verhalten der flinken roten Pilze und der Räuberlianen lernten sie eher kennen als die Überlieferungen der Alten von den Sternen und der anderen Welt. Der Wald war ihnen viel verständlicher als die Erzählungen über Raketen oder Häuser, in denen an die tausend Menschen wohnten. Die Gesetze des Waldes, die Gesetze der Siedlung, geboren aus der Notwendigkeit, ein Häuflein von Menschen am Leben zu erhalten, die an eine solche Existenz nicht gewöhnt waren, die simplen Gesetze des Überlebens, taten das Ihrige, die Erinnerung an die Erde aus den Hirnen zu verdrängen. Statt dessen erwuchs die abstrakte Hoffnung in ihnen, daß man sie irgendwann finden und alles ein Ende haben würde. Doch wie lange würden sie dulden und ausharren müssen? Zehn Jahre? Die waren bereits vergangen. Hundert Jahre? Das würde bedeuten, nicht sie, sondern erst ihre Urenkel könnten gerettet werden. Vorausgesetzt, sie hätten überhaupt Urenkel, und es gelänge ihnen und der ganzen Siedlung, diesen Zeitraum durchzustehn. Die Hoffnung der Alten existierte für die nachfolgende Generation im Grunde schon nicht mehr, war eher störend für das Leben im Wald. Dennoch konnten die Alten nicht anders, als diese Hoffnung an die Jungen weiterzugeben, weil selbst der Tod für die Menschen an Schrecken verlor, wenn sie um die Fortführung ihres Geschlechts wußten. Der Tod wird erst dann zu etwas Endgültigem, wenn nicht nur du selbst mit ihm verschwindest, sondern auch all das, was dich mit dem Leben verbindet.
    Deshalb waren der Lehrer und die Alten bestrebt, jeder so gut er konnte, den Kindern ein Zugehörigkeitsgefühl zur Erde zu vermitteln, den Gedanken, daß ihre Abgeschiedenheit früher oder später ein Ende finden würde. Auf dieser Verbindungssprosse zur Welt aber stellte das Schiff hinter dem Paß etwas Reales dar. Es existierte, war erreichbar, und wenn nicht in diesem tausend Tage währenden endlosen kalten Winter, so doch im nächsten, wenn die Kinder herangewachsen waren und den Paß auf eigenen Beinen bewältigen konnten. Vorausgesetzt, sie wollten es noch, denn innerlich hatten sie sich bereits von der Erde gelöst, das Schiff war etwas Fremdes für sie, der Wald dagegen ihr Zuhause. Das gab ihnen einerseits die Chance zu überleben, die den Alten genommen war, andererseits drohte der Siedlung, dieser kleinen Menschenkolonie, hierdurch letztendlich der Tod.
    Dick, Oleg und Marjana stiegen in den Talkessel hinab, zum Schiff, und obwohl es vor ihren Augen wuchs, riesig und faßbar vor ihnen lag, blieb es doch nur Legende, eine Gralsschale. Keiner von ihnen hätte sich gewundert, wenn es bei der ersten Berührung in Staub und Asche zerfallen wäre. Sie waren zum Haus ihrer Väter zurückgekehrt, das sie erschreckte, weil es sich in diesem kalten Tal befand. Vorher hatte es ja nur in ihren Träumen und in den Legenden existiert, die ihnen bei mattem Lampenschein erzählt wurden, wenn draußen, hinter dem schmalen, durch einen Vorhang aus Fischhaut geschützten Fensterschlitz der Hütte der Schneesturm heulte.
    Die Existenz des Schiffes ließ die

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