Der Gedankenleser
einzige?
Ich grübelte die halbe Nacht darüber nach und schlief schließlich verzweifelt ein.
Am nächsten Morgen jedoch schienen die Ereignisse des Vortages und die quälenden Gedanken weit weg zu sein. Ich hatte einen klaren Kopf und war entschlossen, mich mit Anna auseinanderzusetzen. Ich wollte ihr nicht mehr aus dem Weg gehen. Ich wollte uns nicht mehr aus dem Weg gehen. Ich musste das Gespräch mit ihr suchen.
Es war ein sonnenschöner Spätsommertag. Der Himmel vergissmeinnichtblau, und ein lauer Wind wehte über unsere Terrasse. Dort hatten Anna und ich den Frühstückstisch gedeckt. Das machten wir seit dem Einzug in unsere Traumvilla bei jeder Gelegenheit, soweit das Wetter mitspielte. Normalerweise saß ich ihr beim Essen immer genau gegenüber: sie an dem einen Kopfende des Tisches, ich an dem anderen. Heute jedoch war es anders. Ich hatte mein Gedeck direkt rieben dem ihrigen platziert, so dass wir uns über Eck anschauen konnten. Ich wollte ihr nahe sein. Jeder ihrer Gedanken sollte in mich eindringen können. Jede Wahrheit wollte ich nun hören.
Diese neue Sitzordnung verwunderte Anna offensichtlich, denn bevor sie Platz nahm, blieb sie ein paar Sekunden neben ihrem Stuhl stehen und schaute etwas ratlos auf die Tischplatte, sagte aber nichts.
Wir begannen zu frühstücken - und quasselten viel. Über ihre Arbeit, ihre Kollegen, unser defektes Gartentor, den tags zuvor gelaufenen Wallander-Krimi, die neue Rasensprenganlage, das verstopfte Abflussrohr in der Gästetoilette, die Rechnung vom Dachdecker, ihre Öko-Kosmetik, das neue Auto der Nachbarn.
»Wir müssen miteinander reden«, sagte ich, als sie gerade anhob, von der Urlaubsreise ihrer Freundin Simone zu berichten.
»Reden? Wir reden doch die ganze Zeit!«
»Ich meine über uns, über unser Leben.«
Ein erdrückendes Grau zog vor meinen inneren Augen auf, eindeutig, ohne andere Farbnuancen. Anna hatte also Angst, vielleicht sogar große Angst.
Er hat eine Neue. So musste es ja mal kommen. Oder hat er am Computer gesehen, dass ich nach Max gesucht habe?
»Was ist denn los?«, fragte sie mit dünner Stimme. »Bist du glücklich?«, fragte ich zurück.
Noch nie in all unseren gemeinsamen Jahren hatten wir uns gegenseitig diese Frage gestellt.
Sie hörte auf zu kauen, nahm einen Schluck Kaffee und blickte ernst auf ihren Frühstücksteller, der mit Brötchenkrumen und kleinen Marmeladenklecksen übersät war.
»Glücklich?«
»Ja, bist du mit unserem Leben zufrieden? Mehr als zufrieden?«
»Na, zufrieden und glücklich ist ja wohl ein Unterschied.«
»Führen wir ein glückliches Leben?«, fragte ich, mittlerweile etwas ungehalten.
»Was denkst du?«
»Himmel, Anna! Ich habe dich gefragt!«
Sie atmete einmal tief durch, setzte sich ganz aufrecht auf ihren Stuhl und starrte in unseren Walnussbaum.
Das ist jetzt genau das Gespräch, vor dem ich immer so große Angst hatte. Was soll ich denn bloß antworten? Ich hätte ihm viel früher die Wahrheit sagen müssen. Wenn ich jetzt nicht aufpasse, mach ich alles kaputt.
»Ich weiß nicht«, sagte sie leise.
»Wie, du weißt nicht? Entweder bist du glücklich und zufrieden - oder du bist es nicht.«
Während ich sprach, wunderte ich mich über meinen entschiedenen. Ton. So hatte ich noch nie mit Anna geredet.
Was ist denn nur los mit ihm? Alles ist anders seit seinem Unfall. Ich kann ihm doch nicht von meiner Kindersehnsucht erzählen. Er würde mir vorwerfen, dass ich ihn so lange belogen habe.
»Vielleicht ist alles ein bisschen langweilig geworden«, sagte sie zögernd.
»Wie meinst du das?«
»Na ja, ich komme mir so alt vor. Es passiert so wenig. Ich habe Angst, dass wir etwas versäumen.« »Du meinst, dass du etwas versäumst?«
Wenn ich ihm jetzt alles sage, ist unsere Ehe am Ende.
»Was fehlt dir denn? Was wünschst du dir?« Ich hatte meine Stimme wieder etwas besänftigt.
Anna sprang von ihrem Stuhl auf und lief ein paar Schritte in unseren Garten. Ich blieb sitzen.
»Ach«, sagte sie, »es erscheint mir alles so eintönig. Besonders jetzt, wo das Haus fast fertig ist ... jeder Tag gleicht dem andern.«
Ich stand nun ebenfalls auf und begab mich in ihre Nähe.
Warum hab ich es so lange in dieser Ehe ausgehalten? Ich würde Arne gerne zum Freund haben, aber nicht zum Mann.
Das saß.
Ein Sekundenschwindel überkam mich. Ich hockte mich hin und rang nach körperlicher und seelischer Fassung.
»Was ist?«,
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