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Der Gedankenleser

Der Gedankenleser

Titel: Der Gedankenleser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Domian
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germanischen Runen. Meinen Ehering übrigens habe ich nur am Tag unserer Hochzeit getragen. Später nie wieder. Im Gegensatz zu Anna. Noch bei unserem Treffen im Biergarten hatte sie ihn am Finger gehabt.
    »Es ist so weit alles in Ordnung«, antwortete ich, »aber es hat viel Arbeit gemacht und uns noch mehr Zeit gekostet.«
    »Und wahrscheinlich Geld.«
    »Ja, natürlich viel mehr, als wir veranschlagt hatten. Aber Jetzt ...«
    Ich überlegte kurz, ob ich Helga von den radikalen Veränderungen in meinem Privatleben erzählen sollte, entschied mich aber dagegen.
    » ... jetzt sind die wichtigsten Arbeiten alle getan.«
    »Na, das ist doch super. Dann könnt ihr ja nun die Frage ›Wohnst du noch oder lebst du schon?‹ ganz eindeutig beantworten.«
    Helga lachte eine Nuance zu laut und zu lange über ihren eigenen Witz. Ich bemühte mich um ein Lächeln und dachte über diesen albernen Werbeslogan eines Möbelhauses nach. Für mich bedeutete leben nun endlich nicht mehr, in der wohldekorierten und kuscheligen Atmosphäre einer Wohnung oder eines Hauses meine Zeit zu verbringen.
     

    Er hat einen merkwürdigen Gesichtsausdruck.
     

    »Unsere Helga ist immer für einen Scherz gut«, sagte ich. »Aber erzähl mal ein bisschen von dir und deinen Plänen. Von Lars weiß ich, dass du überlegst, nächstes Jahr in den Vorruhestand zu gehen. Hast du das wirklich vor?«
     

    Genau darüber will ich jetzt überhaupt nicht reden.
     

    »Ja, ich denke ernsthaft darüber nach. Aber ob ich ganz ohne diesen verrückten Haufen im Büro auskommen kann, weiß Ich nicht. Andererseits ist es jetzt vielleicht auch bald genug. Man wird ja nicht jünger.«
    »Hast du Pläne, was du dann mit deiner freien Zeit so alles anfangen willst?«
    Helga nahm einen Schluck Bier.
     

    Ich mag nicht über dieses Thema sprechen. Ich mag nicht.
     

    »Ach, das wird sich dann schon finden. Ich habe ja so viele Hobbys.«
     

    Hoffentlich kommt das Essen bald.
     

    »Was sind das für Hobbys?«
    »Ich male doch so leidenschaftlich gerne, weißt du das nicht? Ich hatte doch sogar schon mal eine Ausstellung bei uns in der Kantine.«
     

    Findet er bestimmt blöd. Und gleich wird er das Gegenteil sagen.
     

    »Klar, ich erinnere mich. Ist aber sicher schon ein paar Jahre her. Da waren sehr nette Sachen dabei. Du hast wirklich Talent.«
    Das meinte ich in der Tat nicht ehrlich. Aber sollte ich ihr sagen, der ganze Kram hätte mich angeödet? Nein. Warum? Sie wäre verletzt gewesen - und das wollte ich nicht. Sie hatte Spaß am Malen. Nur das zählte. Warum sollte ich mich als Kritiker aufspielen?
     

    »Vielen Dank für die Blumen«, sagte sie.
     

    Ich muss heute unbedingt noch den Brief an den Bundestagsabgeordneten rausschicken, sonst tobt Großbogenbelt.
     

    Mich ermüdete diese quälende Konversation, an der ja auch Helga ganz offensichtlich keinerlei Spaß oder Interesse hatte. Was aber sollte ich tun?
    »Na, Arne, du wirkst aber sehr abwesend. Ist bestimmt der Schock, uns alle wiedergesehen zu haben.« Helga lachte etwas bemüht. »Der erste Tag im Büro ist ja nie besonders schön. Aber das gibt sich, glaub mir. Morgen sieht die Welt schon ganz anders aus.«
     

    Ob er vorhin mit Großbogenbelt Streit hatte? Oh, das ist aber eine schicke Brille. Genauso eine könnte ich mir für mich auch vorstellen.
     

    Helga schaute auffällig zur Eingangstür. Und auch ich wandte meinen Blick dorthin. Ein Paar war gerade eingetreten. Die Frau Anfang vierzig, elegant gekleidet, und auf der Nase trug sie eine Designer-Brille.
    In diesem Moment kamen endlich unsere gebratenen Nudeln.
     

    Wir saßen noch über eine Dreiviertelstunde beim Chinesen. Was mindestens gefühlten fünf Stunden entsprach. Nach langem Hin und Her entschied sich Helga nämlich für einen Nachtisch. Was mich wunderte, da sie doch unbedingt auf die Kalorien achten wollte. Ach, einmal ist keinmal, hörte ich sie in Gedanken sagen. Und so wurden meine Qualen wegen einer matschigen, von Honig überzogenen Banane ins schier Endlose hinausgezögert. Ich war gleichermaßen gelangweilt, angestrengt und wütend. Es kostete mich immense Kraft, die banale Unterhaltung fortzuführen. Mir fiel einfach nichts mehr ein, was ich noch hätte sagen oder fragen können. Zudem war ich zornig auf mich selbst. Was für eine sinnlose Verschwendung von Lebenszeit! Und ich trug dafür die Verantwortung. Zum einen, weil ich mir die Suppe selbst eingebrockt hatte, und zum anderen, weil ich nicht Manns

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