Der Gedankenleser
Und würde ich ab und zu mit einem Einheimischen sprechen, so sollte es um Alltagsangelegenheiten gehen, um mehr nicht. Wenn ich dabei unter Umständen ein wenig über seine verborgenen Empfindungen erfahren sollte, wäre das nicht weiter der Rede wert.
Mein dringlichstes Anliegen nun aber war es, eine Unterkunft zu finden. Genauer gesagt, ich wollte ein Blockhaus irgendwo draußen am See mieten. Nachdem ich ein wenig mit der Frau über Finnland, Deutschland und den Winter an sich geplaudert hatte, trug ich ihr meinen Wunsch vor und fragte, ob sie vielleicht jemanden wüsste, der zurzeit ein solches Haus anbieten würde, mindestens für ein paar Monate, wenn nicht für länger. Sie überlegte, bat mich um etwas Geduld, griff zu ihrem auf dem Tisch liegenden Mobiltelefon und begann, wie sie mir zwischendurch zuflüsterte, mit einigen Rentierbauern der Umgebung zu sprechen. Und dann ging alles schneller, als ich zu hoffen gewagt hätte. Schon nach einer knappen Viertelstunde strahlte sie mich an und sagte: »Okay, I have a very nice cabin for you!« Und erklärte mir gleich den Weg zum Hof des Bauern, dem das Häuschen gehörte. Dort sollte ich mich zunächst melden. Der Hof läge zirka fünfzig Autominuten vom Ort entfernt, zur Hütte würde es dann noch einmal zehn bis fünfzehn Minuten dauern. Eine durchaus akzeptable Distanz in den unendlich erscheinenden Weiten Lapplands. Ich bezahlte schnell meinen Kaffee und machte mich sofort auf den Weg. »Es ist wirklich ein sehr schönes kleines Haus!«, rief mir die Frau noch von der Tür aus nach. Ich stieg in mein Auto und fuhr los. In Richtung Westen, auf einer Nebenstraße. Dort waren in letzter Zeit offenbar nur wenige Fahrzeuge entlanggefahren. Es gab kaum Spuren, dafür Schnee über Schnee. Ich hatte das Gefühl, durch ein Wintermärchen zu schweben. Tief verschneite Wälder, zugefrorene Seen, weit in der Ferne strahlend weiße Bergkuppen - und dazu schien die Sonne so hell wie an den schönsten Sommertagen. Während der ganzen Fahrt begegnete mir nur ein einziges Auto. Ein alter russischer Lada. Tatsächlich war ich nach knapp einer Stunde an meinem ersten Ziel: einem mitten im Wald gelegenen Bauernhof. Ich fuhr vor das Wohnhaus und wurde sofort von drei aufgeregten Hunden begrüßt, die anscheinend alle einen Husky-Urahnen hatten, ansonsten aber keiner Rasse zuzuordnen waren. Ich glaube, für die drei Racker war ich die Sensation des Tages, wenn nicht der ganzen letzten Woche. Bestimmt kam nur selten Besuch auf den abgelegenen Hof. Hätte ich mich nicht so gut auf Hunde verstanden, wahrscheinlich wäre mir beim Aussteigen mulmig gewesen. Sie sprangen an mir hoch und bellten wie verrückt. Aber ich erkannte sofort, dass sie sich freuten, und als ich anfing, ihre Köpfe zu tätscheln, hatten sie sich bald wieder beruhigt. Der Bauer kam aus dem Haus. Er begrüßte mich etwas kühl, aber dennoch zuvorkommend, und gab mir zu verstehen, dass er weder Englisch noch Deutsch könne. Mein Nummernschild oder die Frau im Café hatten ihm wohl mein Herkunftsland verraten. Und so versuchten wir, uns ohne eine gemeinsame Sprache zu verständigen. Was durchaus funktionierte, da er ja wusste, was ich wollte. Wir kamen schnell zur Sache und fuhren gemeinsam zu dem Blockhaus, für das ich mich interessierte. Er mit seinem Pick-up vorneweg. Nach ungefähr zehn Minuten waren wir dort - und mir war sofort klar: Hier bleibst du!
Das Holzhäuschen lag malerisch am Ufer eines mittelgroßen Sees, der wiederum war fast vollständig umrahmt von einem Kiefernwald. Nur ganz am Ende der Eisfläche, quasi gegenüber dem Haus, schien sich eine steppenähnliche Fläche mit vereinzelten niedrigen Gehölzen auszubreiten. Ich stand neben meinem Auto, sog die kalte, klare Winterluft tief in meine Lungen ein und genoss den überwältigenden Anblick. Alles wirkte so rein und unberührt. Der Bauer schippte unterdessen Schnee. In den vorangegangenen Wochen oder Monaten war der Eingangsbereich der Hütte so hoch zugeweht, dass man die Tür kaum mehr sehen konnte. Nach einigen Minuten aber hatte er das Gröbste beseitigt, und wir konnten hineingehen. Es gab zwei Räume, eine Dusche mit Toilette und sogar eine kleine Sauna. Alles sehr einfach, aber sauber und gepflegt. Was wollte ich mehr?
Ich bedeutete dem Mann, dass mir das Haus sehr gut gefiele und ich es gern mieten wolle. Er verstand sofort, wir verhandelten den Preis und ich zahlte ihm vier Monatsmieten im Voraus.
Als sich die Motorgeräusche seines
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