Der geduldige Tod (German Edition)
dasselbe Ergebnis. Alles Wichtige war noch da.
Erleichtert atmete sie auf. Wer auch immer sie besucht haben mochte, er hatte nichts Wertvolles mitgehen lassen. Sie rückte den Schlüssel zur oberen Wohnung zurecht, der seltsamerweise etwas schief an der Wand hing, dann ging sie in die Küche, um ihre Besorgungen einzusortieren. Und sie vergaß den Vorfall.
***
Victoria träumte in der Nacht auf dem Boot nicht von Francisco. Sie träumte gar nichts. Zum ersten Mal seit langer Zeit schlief sie ruhig und traumlos und fühlte sich ausgeruht und erfrischt, als sie am Morgen vom Schrei der Möwen aufwachte. Francisco lag noch immer neben ihr, seinen Arm um sie geschlungen. Er schnarchte leise. Seine Brust hob und senkte sich bei jedem Atemzug. Auf der einen Seite klebte das dunkle Haar an seinem Kopf, auf der anderen stand es ab wie bei einem Igel. Victoria lächelte bei dem Anblick. Er sah umwerfend aus, fand sie.
Leise, um ihn nicht zu wecken, richtete sie sich auf. Doch als er die Bewegung spürte, hob Francisco schlaftrunken den Kopf.
»Guten Morgen«, murmelte er und hielt Victoria fest, damit sie das Bett nicht verließ.
»Guten Morgen.« Sie beugte sich zu ihm und gab ihm einen Kuss auf die Nase. »Ich habe so gut geschlafen wie schon lange nicht mehr.«
»Das freut mich sehr.« Er zog sie an sich. »Ich auch«, flüsterte er in ihr Ohr.
»Jetzt muss ich aber mal auf die Toilette.«
»Na gut.« Widerwillig gab der junge Mann sie frei, damit sie die Koje verlassen und in dem kleinen Badezimmer verschwinden konnte.
Als sie das Bad wieder verließ, war das Bett leer. Vom Deck hörte sie Geräusche, was sie veranlasste, die steile Leiter nach oben zu klettern. Das Segelboot lag noch immer in der Bucht vor der unbewohnten Felseninsel vor Anker. Die Sonne hatte sich gerade über eine Klippe geschoben und schien zwischen Felsen hindurch auf das Wasser vor dem Boot. Sie glitzerte in den verchromten Armaturen und ließ das eingeholte Segel grell weiß leuchten. Eine Möwe hatte sich auf der Spitze des Mastes niedergelassen und flog widerwillig weg, als Victoria erschien. Doch von Francisco war nichts zu sehen. Das Deck war leer.
»Francisco?«, rief Victoria suchend und sah sich um.
Er antwortete nicht.
»Francisco? Wo steckst du?«
Für einen winzigen Moment beschlich sie die Angst, er könne sie mit dem Boot vor der fremden Insel alleingelassen haben. Doch dann hörte sie ein Plätschern.
»Spring ins Wasser! Komm rein!«, rief Francisco aus den sanften Wogen, die um das Boot gluckerten.
Erleichtert lehnte sie sich über die Reling, um zu ihm hinunterzuschauen. »Ist es nicht kalt?«
»Nein, überhaupt nicht.« Wie zum Beweis spritzte er eine Handvoll Wasser zu ihr nach oben.
Sie zog den Kopf ein und lachte.
»Na gut, dann komme ich auch.«
Schnell legte sie ihre Kleidung ab und den Badeanzug an, bevor sie zu ihm ins Meer sprang. Erst als ihr ganzer Körper untergetaucht war, merkte sie, dass Francisco geschwindelt hatte. Das Meer war kälter als erwartet. Sie quiekte, doch er umarmte und wärmte sie, und nur wenige Augenblicke später hatte sie ihm diese kleine Lüge verziehen. Als er ihr einen langen, innigen Kuss gab, wusste sie, dass sie ihm auch zukünftige kleine Lügen verzeihen würde. Und als er sie an sich zog und sanft ihr Gesicht und dann ihren Rücken streichelte, ahnte sie, dass es doch noch Nächte geben würde, in denen sie von ihm träumen würde. Dass es Albträume sein könnten, daran dachte sie in diesem Moment allerdings mit keiner Silbe.
Erst am Abend kehrte Victoria heim. Vergnügt summte sie ein Lied, als sie durch das Gartentor ins Grundstück einbog und den Weg zum Haus hinauflief. Durch das geöffnete Küchenfenster konnte sie sehen, dass Señora Rodriguez Besuch hatte. Ihre Tochter saß mit schmerzverzerrtem Gesicht am Küchentisch. Das rechte Auge war geschwollen, an der Nase klebte getrocknetes Blut. Die Oberlippe war aufgeplatzt, ein Zahn abgebrochen. Sie sah fürchterlich aus.
Ihre Mutter redete aufgeregt auf sie ein, doch Victoria konnte nicht verstehen, was sie sagte. Die alte Frau tupfte mit einem feuchten Lappen das Blut im Gesicht ihrer Tochter ab. Doch als die junge Frau aufsah, weil sie Victorias Blick bemerkte, hielt sie inne.
Schnell nickte Victoria grüßend mit dem Kopf und lief nach oben in ihre Wohnung, wo sie den Badeanzug auspackte und ausspülte, um ihn danach im Garten neben dem Pool zum Trocknen aufzuhängen. Als sie an Francisco dachte,
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