Der geduldige Tod (German Edition)
und streichelte ihren Hals.
»Dann hat er eine wirklich miese Art, diesen Plan umzusetzen.«
Er lachte leise. »Ganz meine Meinung.« Er schlang seinen Arm um ihren Körper. »Das Ergebnis ist trotzdem schön.«
Sie strich durch sein dichtes, dunkles Haar. Auch das fühlte sich so wunderbar normal an. »Das finde ich auch. Mir wäre es bedeutend lieber gewesen, ich hätte dich und deine Familie bei einem Urlaub kennengelernt.«
»Mit deinem Mann? Dann wärst du noch verheiratet.«
»Den hätten wir ja woanders hinschicken können.«
Er lachte leise. Sein Atem strich an ihr Ohr und über die weiche Haut an ihrem Hals und jagte einen leisen, angenehmen Schauer über ihren Rücken. Es kribbelte in ihrem Bauch, in ihren Beinen, eigentlich überall.
»Schlaf gut, Francisco«, flüsterte sie in sein Ohr und drückte einen Kuss auf seinen Mund.
»Träume von mir«, wisperte er zurück.
Victoria nahm sich ganz fest vor, dies auch wirklich zu tun. Denn noch ahnte sie nichts davon, dass trotz des sicheren Bootes und der Wärme des Mannes an ihrer Seite der Tod ihre neue Heimat gefunden und in ihr Leben zurückgekehrt war.
Auf dem Fuße
Señora Rodriguez war mit Sicherheit keine Frau, die sich von negativen Gedanken den Morgen verderben ließ. Die Welt war schlecht, das war nun mal so, darüber musste man sich keine grauen Haare wachsen lassen. Das wusste schon ihr Vater, der als einfacher Bauer gerade mit Müh und Not seine Familie ernähren konnte, bis er die Nase voll hatte und eines Abends tot vom Pferd fiel. Da waren seine Kinder gerade mal sieben, fünf, vier und zwei Jahre alt. Schlaganfall, sagten die Ärzte. Feigheit, schimpfte seine Frau. Sie vermittelte den ältesten Sohn an eine Soldatenschule, damit sie ein Maul weniger zu stopfen hatte, die anderen brachte sie damit durch, dass sie die Reichen der Insel bestahl. Bis sie erwischt wurde und ins Gefängnis wanderte. Ihre Kinder kamen bei den Großeltern auf dem Festland unter, wo sie mehr Schläge als Essen erhielten. Sie liefen davon, sobald sie einigermaßen alleine für sich sorgen konnten. Sara war gerade zwölf, eine aufblühende Rose, was die jungen Männer Spaniens durchaus erkannten, und ehe sie es sich versah, war sie schwanger. Das Kind verlor sie, als ihr Freund sie im Drogenrausch aus einem Fenster stieß, wobei sie sich beide Oberschenkel brach und eine Niere verlor. Sie lag viele Monate im Krankenhaus. Sobald sie wieder gesund war, schlich sie sich als blinde Passagierin auf die Fähre und kehrte zurück auf die Insel ihrer Eltern. Dort war das Leben nicht unbedingt leichter, aber immerhin hatten inzwischen die Touristen das Eiland für sich entdeckt, so dass es wesentlich leichter war, sich den Unterhalt mit Stehlen zu verdienen. Doch dann lernte sie Olivier Rodriguez kennen. Er war Kellner von Beruf, groß und schlank und atemberaubend attraktiv. Und er trug sie auf Händen. Darüber hinaus war er sogar ein guter Mensch und bestahl weder seinen Arbeitgeber noch die Gäste. Sara betete ihn an. Drei Jahre ging ihre Liebelei, dann heiratete er sie. Und er brachte zum ersten Mal Sicherheit und Wohlstand in ihr Leben. Er eröffnete ein eigenes Restaurant, das ihnen einen moderaten Reichtum bescherte. Bis er eines Tages auf offener Straße erstochen und um seine Einnahmen erleichtert wurde. Er überlebte den Angriff nicht und Sara war mit nur 39 Jahren Witwe. Sie weinte sechs Wochen und vier Tage ununterbrochen um ihren Olivier. Und seitdem war ihr klar, dass die Welt ein trostloser Platz war, in dem alles Gute unweigerlich zugrunde gehen würde und dass man darauf vorbereitet sein musste.
Dennoch war sie an dem Morgen mehr als überrascht, als sie nach ihrem morgendlichen Einkauf auf dem Markt nach Hause kam und einen schmutzigen Fußabdruck in ihrer Wohnung erblickte. Sie war bestimmt keine Reinlichkeitsfanatikerin, aber so etwas war völlig indiskutabel. Zumal sie gerade erst das Haus gesäubert hatte. Für einen Moment überlegte sie, von wem der Abdruck stammen könnte, doch ihr fiel kein Kandidat ein. Niemand war hier gewesen, jedenfalls nicht während ihrer Anwesenheit.
Mit einem mulmigen Gefühl im Magen ging sie zu der großen Kassette unter ihrem Bett und öffnete sie. Sie war noch voll, niemand hatte etwas angerührt. Danach verschwand sie in die Küche und sah in der riesigen Keksdose auf dem Schrank nach. Auch dort drinnen war noch alles vorhanden. Die Überprüfung des Inhaltes der Spülmaschine und des Eisfaches brachte
Weitere Kostenlose Bücher