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Der geduldige Tod (German Edition)

Der geduldige Tod (German Edition)

Titel: Der geduldige Tod (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helke Böttger
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Stunde, ihm die ganze Geschichte zu berichten. Sie musste mehrere Male unterbrechen, um sich zu sammeln und die Kraft zu finden, die Erlebnisse wiederzugeben. Sie erzählte zitternd von dem unwirklichen Moment, dem Killer gegenüberzustehen und es nicht zu wissen, bis er zuschlug. Von den Qualen, als sie bewegungsunfähig mit ansehen musste, wie der Mörder ihre Hände zerschnitt. Von den Wochen ihrer Reha, als sie neu lernen musste, ihre Hände zu bewegen, da einige Nerven irreparabel zerstört waren. Von den grauenhaften Anfällen, jedes Mal, wenn sie bekannte Orte entlangging und dann das Gefühl hatte, der Mörder würde ihr aufs Neue auflauern, Angst hatte, durch die Heftigkeit der Anfälle zu sterben. Von den schrecklichen Berichten im Gerichtssaal, als sie erfuhr, wie elf andere Frauen ums Leben gekommen waren, dass der Verrückte sie schminkte und dann ausbluten ließ, weil er glaubte, auf diese Weise würde der Geist der Frauen in die abgetrennten Körperteile übergehen. Er bewahrte die einzelnen Teile in einem Kellerraum voller Eis auf, wo sie an Drähten hingen wie eine Marionette: die Hüften hatte er von einer Tänzerin, den Brustkorb von einer Leichtathletin, die Gebärmutter von einer fünffachen Mutter, die Brüste von einer Buchhändlerin, den Kopf von einer zwanzigjährigen Hure mit dem Gesicht eines Engels, zwei Beine von einer Yogalehrerin, die Füße von einer Taxifahrerin, ein Herz von einer dreizehnjährigen Jungfrau, die Augen von einer Verkäuferin für Tiernahrung, die Ohren von der Frau eines Managers. Von Victoria wollte er die Hände, als nächstes hatte er vor, die Arme zu besorgen, ihm war bereits ein vielversprechendes weibliches Exemplar aufgefallen. Victoria saß im Gerichtssaal, zitternd und mit Beruhigungstabletten vollgepumpt, damit sie ihre Zeugenaussage durchhielt. Der Mann starrte sie an, als würde er es bedauern, dass sie ihm entkommen war. Immer wieder sah er auf ihre Hände, die sie damals noch kaum bewegen konnte und mit Handschuhen schützen musste. Und als er erzählte, dass er im Vorfeld schon neun Frauen umgebracht hatte, ohne ihre Organe und Körperteile nutzen zu können, weil sie zu früh starben oder er die Mischung des Giftes noch nicht perfektioniert hatte und sie an tödlichen Krämpfen jämmerlich krepierten, hielt sie es nicht mehr aus. An dem Tag hatte sie sich geschworen, wegzugehen und dem Leben, so wie sie es jetzt kannte, den Rücken zu kehren. Sie wollte neu anfangen, irgendwo, wo keine Erinnerungen sie quälten, niemand sie darauf ansprach und die Erlebnisse so fern wie möglich schienen. Es dauerte noch eine Weile, bis sie diesen Beschluss in die Realität umsetzen konnte, aber sie schaffte es. Und das war das erste Mal seit langer Zeit, dass sie sich wieder wie ein selbstständiger, erwachsener Mensch und nicht wie ein hilfloses Kind fühlte.
    Er hörte ihr aufmerksam zu, ohne sie zu unterbrechen. Ab und zu runzelte er die Stirn oder schüttelte den Kopf, wenn er etwas nicht glauben konnte.
    Sie war gerade fertig, als es an der Tür klingelte.
    Francisco stand auf, um zu öffnen, kam jedoch nicht zurück. Stattdessen hörte Victoria mehrere Männerstimmen und eine bekannte Frauenstimme: Lucia Hernandez. Sie stand auf und ging hinaus in die Diele, wo ein Polizist Francisco Handschellen anlegte.
    »Was ist hier los?«, fragte Victoria.
    »Ihr Freund wird verhaftet«, antwortete die Kommissarin.
    »Weswegen?«
    »Wegen dreifachen Mordes.«
    »Das muss ein Irrtum sein«, rief Victoria.
    »Hast du der Polizei gesagt, dass du mich verdächtigst?«, fragte Francisco irritiert.
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Nein«, erwiderte auch Lucia Hernandez. »So etwas finden wir auch alleine heraus.«
    Sie wandte sich ab und gab den Polizisten die Anweisung, den Gefangenen rauszuführen.
    »Ich war es nicht!«, rief er Victoria zu, doch es brachte nichts. Das Entsetzen kroch mit aller Macht zurück in ihr Herz.
     
    Victoria wurde am nächsten Morgen von einem Polizeiwagen abgeholt und erneut zur Vernehmung geführt. Dieses Mal nannten sie es offiziell Zeugenaussage, es fühlte sich aber ähnlich an wie das erste Verhör. Doch heute waren neben Lucia Hernandez noch zwei weitere Beamte anwesend, außerdem wurde ihre Aussage von einer Videokamera aufgezeichnet.
    Kommissarin Lucia Hernandez: »Wie ist Ihr Verhältnis zu Francisco Luis Galba?«
    Zeugin Berger: »Galba? Ist das sein Name?«
    Kommissarin Lucia Hernandez nickt.
    Zeugin Berger: »Er ist ein

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