Der geduldige Tod (German Edition)
ihren Freunden um, die unisono den Kopf schüttelten. Dann wandte sie sich erneut an Victoria. »Das war eher ein gut gemeinter Rat. Und achten Sie darauf, wohin Sie Ihre Unterwäsche hängen, oder sie findet sich das nächste Mal an einem Ort wieder, wo Sie sie auf keinen Fall finden wollen. Das war auch ein gut gemeinter Rat. Die Insel ist voller Diebe.«
Victoria nickte und versuchte ein Lächeln, um in den Augen der Bande gehorsam und friedlich zu wirken und sie so zu beschwichtigen. »Das habe ich schon gemerkt. Danke für die Ratschläge.«
»Und nun, verzieh dich, Schlampe!«, zischte die junge Frau und holte aus, als wolle sie Victoria schlagen.
Victoria zuckte zusammen und duckte sich. Als sie das Lachen der Gruppe hörte, richtete sie sich wieder auf und bemerkte, dass ihre Gegnerin den Schlag nur angedeutet hatte. Die Gruppe lachte und wandte sich ab, um sich um andere Angelegenheiten zu kümmern.
Victoria drehte sich um und ging davon.
Sie versuchte, so aufrecht wie möglich zu laufen. Wenn sie ihren Körper dazu zwang, sicher und souverän zu wirken, fühlte sie sich vielleicht auch so, hoffte sie. Aber es half nicht viel. Sie lief in irgendeine Richtung, ohne die leiseste Ahnung zu haben, wohin sie führte, und fühlte sich hundeelend dabei. Erst als sie am anderen Ende der Stadt angekommen war, stockte Victorias Schritt. Vor ihr lag eine große Bucht, mit großen Steinen und Beton befestigt. Das Wasser plätscherte trübe und grau, ölige Spuren schwammen darauf.
Erst jetzt spürte sie, wie ihre Füße schmerzten und ihr Rücken von der verkrampften Haltung brannte. Sie hatte sich kaum umgesehen, wohin sie lief, sie wollte nur weg von den jungen Leuten, die sie bedroht hatten. Nun stand sie hier, an einem der hässlichsten Orte der Welt. Rauchende Schornsteine ragten auf dem Land in die Höhe, riesige stählerne Schiffskolosse lagen an einem rissigen Kai im schmutzig-trüben Wasser. Auf einer Lagerfläche in ihrer Nähe stapelten sich Container und Paletten, an denen die Farbe abblätterte.
Sie setzte sich auf einen Stein, der in einer Einfahrt als Begrenzung aufgestellt war, und rieb sich die Füße. Auch wenn ihr überhaupt nicht gefiel, was eben passiert war, so hatten sich immerhin der Unterwäsche-Diebstahl und die Vergiftung der Katze aufgeklärt. Auch die Sache mit dem Pool lag nun offen. Vielleicht waren die jungen Leute auch für die Morde zuständig? Das war zwar ein anderes Kaliber als vergifteter Fisch, aber durchaus möglich.
Erschöpft ließ sie ihren Kopf an den Pfosten der Toreinfahrt sinken. Schlimmer konnte der Tag kaum werden. Sie mochte gar nicht daran denken, was mit Francisco geschehen war. Hatten sie vielleicht Spuren von ihm an den Toten gefunden? Sie mussten ihn verdächtigen, sonst hätten sie ihn nicht mitgenommen.
Sie spürte ein verzweifeltes Grauen durch ihren Körper kriechen und verbot sich, weiter an Francisco zu denken. Sie würde zu keinem Ergebnis kommen. Es war lediglich eine Schleife ohne Ende, die sich immer wieder in ihre Gedanken schlich und ihre Hirnwindungen blockierte. Mühevoll schüttelte sie sie ab und stand auf, um zur nächsten Bushaltestelle zu hinken und dann nach Hause zu fahren.
Francisco kam am nächsten Tag frei. Nur wenige Stunden später stand er vor Victorias Tür.
Sie ließ ihn nur zögerlich hinein. Widerstreitende Gefühle plagten sie, Zweifel und Misstrauen hatten sie erneut fest im Griff. Obwohl Francisco in diesem Augenblick nicht gerade wie ein Killer wirkte. Er sah kläglich aus, hatte tiefe Ringe unter den Augen, sein Shirt war vom Schweiß durchtränkt.
»Du musst mir glauben, ich war es nicht«, waren seine ersten Worte, sobald sie die Tür geöffnet hatte.
»Wann haben sie dich entlassen?«
»Heute Mittag. Sie haben nichts in der Hand gegen mich, weil es nichts gibt. Weil ich es nicht war. Ich habe keine Ahnung, wieso sie mich überhaupt verdächtigt haben.«
»Es spricht Einiges gegen dich. Aber es sind sicher nur seltsame Zufälle.«
Er sah sie eindringlich an. »Sicher nur Zufälle? Du glaubst mir immer noch nicht.«
Sie antwortete nicht, sondern ging in die Küche.
»Victoria, bitte hilf mir.« Er folgte ihr in die Küche, wo sie Wasser für einen Tee aufsetzte. »Ich habe es nicht getan, und du kannst helfen, das wahre Monster zu finden.«
»Was soll ich denn tun? Ich habe der Polizei schon alles erzählt, was ich weiß.«
»Du kennst den Mörder, du weißt, was noch passieren kann. Du kannst ihnen
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