Der Gefangene der Wüste
ihn.
Doch auch dieses Mal lief Serrat nur in einen Schlag, der seinen Kopf fast vom Rumpf trennte. Heulend und zitternd fiel er auf die Knie und umklammerte seinen Hals, ließ sich dann nach hinten fallen und lag so, ein Fleischgebirge, durchzittert von innerem Beben, auf den Dielen, mit weiten Augen, in denen völliges Nichtverstehen noch über dem Schmerz stand.
Bender kniete sich neben Serrat und hieb mit der Handkante auf den rechten Oberschenkel des Riesen. Serrat stöhnte auf … seine Augen färbten sich rot. Er keuchte und klapperte mit den Zähnen. Er hat mir das Bein abgeschlagen, dachte er. Es ist gefühllos, abgetrennt, tot. Er hat Handkanten aus Stahl. Und ich habe gedacht, er sei ein in Milch gebadeter akademischer Idiot.
»Wo ist Saada?« fragte Dr. Bender rauh. Er wußte, welche Schmerzen Serrat jetzt durchlitt, aber er war unfähig, auch nur einen Gedanken an Mitleid zu verschwenden. Auf einem Sklavenmarkt verkauft … Er hob die Hand und schlug noch einmal auf den Oberschenkel. Es war, als knacke innen der Knochen. Serrat heulte auf.
»Ich weiß es nicht …«, stöhnte Serrat. »Doktor … ich schwöre es Ihnen … Sie ist abtransportiert worden …«
»Ein Teufel hat mehr Seele als Sie!« sagte Bender dumpf. »Serrat, ich zerstückle Sie, wenn Sie keine anderen Auskünfte geben.« Er schlug mit der Handkante auf den linken Oberschenkel. Serrat verdrehte die Augen. Speichel lief aus seinen Mundwinkeln. Jetzt bin ich beinlos, dachte er. Er hat mir beide Beine abgeschlagen. O Gott, mein Gott … Ein neuer Schlag erzitterte seinen Riesenleib. Es war, als zerplatze der Brustkorb. Serrat verdrehte die Augen, versuchte, die Arme zu heben, und kam sich vor, als bade er in einem See aus brennendem Öl.
»Ich habe sie einem Händler übergeben …«, röchelte er. »Jussuf ben Rahman heißt er. Ich habe seine Adresse von dem Händler Amar ben Habadra in El-Oued. Die Kerle treffen sich im Schott, im Gebiet von El Matmahira. Das ist alles.« Er sank zurück und schloß die Augen. Daß kein neuer Schlag erfolgte, machte ihn fast glücklich. »Was nun?« fragte er, als er besser Luft bekam.
Dr. Bender saß auf dem Bett und starrte auf den nackten Serrat. Was nun, das war wirklich eine Frage. Nachdem es sicher war, daß Serrat die Wahrheit gesagt hatte, eine unbegreifliche Wahrheit, denn in Bender sträubte sich alles dagegen, zu glauben, daß Saada jetzt irgendwo als menschliches Tier hinter verschlossenen Türen lebte, elender als jeder Hund, der herumstreunt, denn ihm ist wenigstens die Freiheit geblieben, blieb eigentlich nur ein Weg übrig: zur Polizei. Aber schon im voraus wußte er, wie es dort sein würde. Man würde ein Protokoll aufnehmen, Serrat in ein muffiges Loch stecken und dann die Schultern zucken.
Tunis … was können wir da machen? Natürlich kann man in El-Oued den Amar ben Habadra verhaften, wenn der Name überhaupt stimmt. Aber wo soll man zum Beispiel den Jussuf ben Rahman suchen? Wenn Mädchen aus der Wüste verschwinden, dann ist es meistens endgültig … oder sie melden sich nach einiger Zeit, und es geht ihnen gut. Sie sind Tänzerinnen, Bardamen, Hausmädchen, Huren … aber immer sind sie zufrieden. Anzeigen … die hat es nie gegeben.
»Ziehen Sie sich an, Serrat!« sagte Bender heiser. »Los, schnell! Wir gehen zum Kommissariat –«
Serrat kroch über den Boden wie eine Riesenkröte. Dann schob er sich an der Wand empor und wunderte sich, daß seine Beine doch noch am Körper waren und ihn trugen. Mit zitternden Fingern zog er sich an und beobachtete dabei Dr. Bender. Aber so günstig manchmal die Gelegenheit war … er hatte plötzlich keinen Mut mehr, sich auf ihn zustürzen. Als er fertig angezogen war, räusperte er sich. Bender hob den Kopf.
»Gehen wir …«
Sie verließen das Zimmer, Serrat schloß es ab und gab den Schlüssel unten beim Portier ab. Im Eingang des Hotels blieb er stehen und sah noch einmal zurück. »Das Logis bezahlt die Firma«, sagte er. »Gepäck brauche ich wohl nicht, was?«
»Nein.« Bender trat hinaus auf die Straße. Das Gewimmel der Menschen saugte ihn auf wie der Schwamm einen Wassertropfen. Die Mittagshitze prallte gegen ihn, vom Hafen erklangen Sirenen und dröhnte das rhythmische Hämmern von Preßluftbohrern. Hunderte Stimmen wirbelten durcheinander, aus einem Café gegenüber dem Hotel tönte laute orientalische Musik.
Serrat trat hinter Dr. Bender.
»Sie sind doch ein Idiot, Doktor –«, sagte er. »Aber das macht, weil
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