Der Gefangene der Wüste
… nur ich erlebe es noch! Soll ich es nicht festhalten, und wenn ich es an mich klebe mit Blut? Los, führ mich zum Zimmer Saadas –«
Im Saal erklangen die letzten Töne der Musik. Saada schwankte von der Bühne. Die ›Hausdame‹ fing die Taumelnde auf und hüllte sie in einen Seidenmantel.
»Fezzan wartet schon auf dich«, sagte sie und wischte die Tränenspur aus Saadas Gesicht. »Er ist in deinem Zimmer.«
»Ich möchte sterben.« Saada lehnte den Kopf an die Schulter der alten, dicken Frau. »Verrate mir, wie man schnell sterben kann. Jetzt, hier auf der Stelle –«
»Warte erst das Leben ab!« Die »Hausdame« führte Saada weg zu den Zimmern mit den Spiegelwänden und Spiegeldecken. Nummer 5 stieß sie auf und schob Saada hinein. Dann schloß sie die Tür wieder und legte beide Hände auf ihre Brüste. Was man durch das Kleid nicht sehen konnte: Sie waren zerschnitten, breite Narben zogen sich über jede Brust. Alte, schon verblichene Narben. Spuren aus den Gründerjahren Hadschars vor zwanzig Jahren –
Suleima war das erste Mädchen, das gegen Hadschar aufbegehrt hatte. Damals, vor zwanzig Jahren. Heute sah sie aus wie fünfzig und war erst fünfunddreißig. Aber sie lebte, wenn auch mit zerschnittenen Brüsten. Der Weg in die Tiefe des Meeres war ihr erspart geblieben. Doch auch das hatte einen Grund. Suleima hatte Hadschar einen Sohn geboren, den einzigen. Er studierte in Paris Jura.
Es war ein Geheimnis, das niemand in dem weiten Häusergewühl kannte, nicht einmal Feisal, der Sohn. Ihm hatte Hadschar gesagt, seine Mutter sei bei seiner Geburt gestorben, aber Suleima sei seine Tante, die Schwester seiner Mutter.
»O wenn er sie wirklich liebt«, sagte sie leise, als sie wegging in den Wohntrakt. »Sie könnte ihn überreden, Ali den Schädel einzuschlagen –«
Amar ben Fezzan saß auf dem Bett. Von allen Seiten wurde seine Gestalt durch die Spiegel zurückgeworfen. Ein Heer von Fezzans erwartete Saada.
Sie blieb an der Tür stehen und raffte den Mantel vor der Brust. Ihre Lippen waren zusammengepreßt zu einem Strich. Noch wußte sie nicht, was sie tun würde, aber sie war sicher, daß es einen Kampf geben würde, den sie zwar verlor, aber in dem sie völlig zerbrach und endlich von dieser Schmach befreit wurde.
»Komm näher, Saada«, sagte Fezzan. Er hatte eine schöne, dunkle Stimme. Hadschar war nicht mehr im Zimmer … vier Männer Fezzans hatten ihn in ihre Mitte genommen und zu seinem Büro begleitet. Dort hockte er jetzt wie ein qualliger Teufel, kaute an den Nägeln und sann auf einen Ausweg.
Saada rührte sich nicht. Ihre dunklen Augen starrten Fezzan an mit einer Entschlossenheit, die er sofort als gefährlich erkannte. Er winkte ab und schüttelte den Kopf.
»Du hast geweint. Ich habe es gesehen. Ich weiß nicht, wer du bist und woher du kommst … ja, ich habe fünfhundert Dinare bezahlt, um mit dir allein zu sein. Aber du sollst keine Angst haben. Ich will nichts weiter von dir, als daß du dich zu mir setzt und mir erzählst, wie du zu Hadschar gekommen bist. Ich weiß, woher er seine Mädchen nimmt … er kauft sie in Tunis. Aber mir ist es ein Rätsel, wie du unter die Ware kommst! Man kauft eine Tüte Äpfel und findet unter den anderen einen goldenen, – das wundert einen doch. Komm her, hab keine Angst … erzähle mir, woher du kommst.«
»Warum?« Saada blieb stehen, gespannt wie eine Sehne. »Du hast mich von Ali gewonnen … ich weiß die Wahrheit.«
»Es stimmt, ich habe dich gewonnen. Und ich habe Ali sogar hunderttausend Dinare für dich geboten!«
»Zuviel Geld für eine Tote.«
»Ich sehe, du lebst.«
»Bis morgen … bis nach deiner Umarmung. Dann werde ich gestorben sein.«
»Warum haßt du mich so? Du kennst mich doch gar nicht.« Fezzan zog die Knie an und umfaßte sie. Dann stützte er das Kinn darauf und blickte Saada nachdenklich an. »Erzähl mir von dir«, sagte er wieder, und in seiner Stimme war etwas, das Saada Vertrauen eingab. »Sei eine neue Scheherazade … nur erzähle dein eigenes Leben.« Er winkte und zeigte auf das Bett neben sich. »Setz dich.«
Aber Saada blieb an der Tür stehen. Das Bett, von den Spiegeln umgeben, in denen sich Fezzan unzählbar vervielfältigte, war ihr wie ein Totenbett. Auf ihm werde ich vergehen, wenn er mich unter sich zwingt, dachte sie. Und ich werde meinen Tod sehen, überall … an den Decken, an den Wänden, einen Tod in geschändeter Nacktheit.
»Ich komme aus Bou Akbir –«, begann sie. »Ich
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