Der Gefangene der Wüste
Stunden nichts getan. Es ist eine der größten Aktionen ausgelöst worden, die Algerien je gesehen hat. Wir erwarten in der nächsten Stunde die ersten Meldungen aus El Oued und von der Grenze.«
»Wir haben auch die befreundete Regierung von Tunis unterrichtet«, sagte der kleine Minister mit heller Stimme. »Tunesische Militäreinheiten sperren die Schotts bereits ab und verhören die Grenzposten. Wir arbeiten mit der gleichen Präzision wie die Europäer.«
Dr. Bender nickte schwach. Da war sie wieder, die immer schwelende Angst, weniger zu sein als die Weißen. Dieses Trauma der Farbigen, weniger zu leisten als die Europäer. Dieser Minderwertigkeitskomplex der Afrikaner, Menschen zweiter Geistesordnung zu sein.
»Und wer sucht nach Saada?« fragte er wieder. Die Männer um ihn herum sahen ihn mitleidig an. Ihre Blicke gaben allein die stumme Antwort.
Keiner.
Ein verkauftes Mädchen ist wie eine verkaufte Dattel … irgendeiner frißt sie auf …
Die algerischen Behörden waren an diesem Tag rührend um Dr. Bender besorgt. Sie luden ihn zum Essen im feudalen Hotel Aletti ein, der Minister und ein General waren seine Begleiter, zu denen sich am späten Abend noch der Direktor der ›Sahara-Petrol‹ gesellte, ein dicker Franzose, laut, beweglich, Playboy im Endstadium, man rauchte und trank Sekt und überspielte die Nervosität, die alle beherrschte. Gegen 23 Uhr kamen die ersten Meldungen ins Hotel Aletti … Kuriere der Armee brachten sie in den kleinen Salon, in den sich die Herren zurückgezogen hatten.
»Aha!« sagte der General zufrieden und sah Bender bedeutungsvoll an. »Den Hund von Amar ben Habadra haben wir. Er wird zur Zeit verhört. Die Vernehmung gestaltet sich etwas langweilig, denn Habadra wird immer ohnmächtig …«
Dr. Bender hob schaudernd die Schultern. Er ahnte, was zur Stunde in El Oued vorging, aber er hatte kein Mitleid mit dem Mann. Wer Menschen verkauft, hat kein Recht auf Humanität.
»Und Saada? Hat man etwas über Saada erfahren können?«
»Nichts.« Der Minister sah in die Glut seiner Zigarre. »Auch Scheich Achmed läßt stündlich aus dem Hospital anrufen. Es geht ihm übrigens nach der Magenoperation gut. Erstaunlich, wo sie erst knapp vierundzwanzig Stunden her ist. Die Freunde in der Wüste haben eine eiserne Gesundheit.« Er beugte sich zu Bender vor und sah auf dem Wege dorthin demonstrativ auf seine Armbanduhr. »Sie sollten sich hinlegen, monsieur docteur. Ich befürchte, Sie brechen uns sonst noch zusammen. Hier im Haus ist für Sie ein Appartement reserviert worden …«
»Danke, Exzellenz.« Bender lehnte sich zurück und legte den Kopf nach hinten auf die hohe Sessellehne. »Wer könnte jetzt schlafen –«
»Ich. Ich muß.« Der Minister erhob sich. »Monsieur, ich habe morgen eine Kabinettsitzung. Glauben Sie mir, es hat keinen Sinn, sich hier mit stundenlangem Warten die Nerven zu ruinieren. Es wird alles getan, was man tun kann. Sie müssen mich entschuldigen.«
Bender nickte. Der Minister verabschiedete sich, der General folgte, dann ging auch gegen 3 Uhr früh der Direktor der ›Sahara-Petrol‹.
Er verließ Dr. Bender ratlos.
Bevor er ging, hatte er Bender vorgeschlagen, ihn aus dem Arzt-Vertrag der Gesellschaft zu entlassen.
»Ich kann verstehen«, sagte der Direktor – er hieß Jacque Prillier – und legte freundschaftlich den Arm um Benders Schulter, »wenn Sie die Schnauze von der Wüste voll haben. Wir sind keine Unmenschen, wir entbinden Sie natürlich von Ihrem Zweijahresvertrag, ab sofort. Wer konnte solche Komplikationen ahnen? Aber, seien wir ehrlich … Sie auch, Doktor … ein wenig schuld an dem ganzen Schlamassel haben Sie auch. Sie haben das erste Gebot der Europäer in Afrika verletzt: Hände weg von Eingeborenen-Schönheiten! Mensch, Doktor … da haben Sie die Cathérine in der Baracke, gefüllt mit Dynamit bis unter die Haarwurzeln … und gehen mit einem Berbermädchen ins Bett!«
»Nicht nur –«, sagte Bender leise.
Monsieur Prillier bekam glänzende Augen. »Die Cathérine auch? Also beide? Und da wundern Sie sich, wenn die Wüste um Sie herum brennt? Doktor, – was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht?«
»Nichts. Ich bin einfach zerrissen worden von diesen beiden Frauen. Es waren zwei Welten, zwei Elemente, und ich ging in dem Sog unter. Natürlich weiß ich heute, daß alles verkehrt war … aber haben Sie jemals Saada gesehen?«
»Nein.« Prillier schnippte die Asche von seiner Zigarre. Seine in Fettwülsten
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