Der Gefangene der Wüste
Luigis.
Im Hause des Scheichs Ali ben Achmed erfüllte das Wehklagen der Diener alle Räume. Achmed lief mit einer langen, geflochtenen Kamelpeitsche herum und hieb auf alle ein, die ihm in die Quere kamen. Der einzige sichere Ort war der große Park, und hier versammelten sich auch bald alle verstörten Diener.
Saada, das Augenlicht Achmeds, der Stern seiner Nacht, war wieder verschwunden. Diesmal hatte sie den Schimmelhengst Fakir mitgenommen, ungesattelt, nur mit einer Trense aufgezäumt.
»Sie wird sich den Hals brechen!« schrie Achmed und rannte wie ein Irrer herum. »Fakir wird sie wegschleudern und zermalmen! Ihr Auswurf von Hyänen! Ihr Geierdreck! Ist es nicht möglich, ein zartes Mädchen zu bewachen? Seid ihr blind, taub und hirnlos? O Saada … Saada … was hat dieser weiße Teufel aus dir gemacht?!«
Was er nicht hinausschrie, war die Unterhaltung, die er vor dem Verschwinden Saadas mit seiner Tochter hatte. Es war ein kurzer Wortwechsel, der damit endete, daß Saada furchtlos fragte:
»Du hast den Ölturm anzünden lassen?«
»Ich nicht, meine Freunde –«, sagte Achmed geschmeidig.
»Du wolltest den Hakim damit treffen. Unruhe willst du im Land. Du suchst einen Grund, auch ihn anzugreifen. Du wirst ihn töten, nicht wahr?«
»Ich werfe ihn stückweise den Geiern vor, wenn er dir den Kopf verdreht und dein Herz wegnimmt!« schrie Achmed. Es hatte keinen Zweck, vor Saadas schwarzen forschenden Augen zu leugnen.
»Zu spät. Er hat mein Herz«, sagte Saada stolz.
Ali ben Achmed ordnete wieder an, Saada einzusperren. Dann ließ er Kebir, den alten Priester, zu sich kommen und klagte ihm sein väterliches Leid. »Was soll ich tun?« jammerte er. »Der Weiße nimmt mir meine Sonne. Saada ist meine ganze Welt, Kebir. Du verstehst mich doch?«
»Ich verstehe dich«, sagte der uralte Kebir. »Und ich helfe dir. Ein brennender Ölturm hilft da gar nichts. Das war Dummheit, Achmed. Wo ist deine Klugheit? Im Lager ist doch Cathérine … und Cathérine ist eine Frau. Merkst du etwas, Achmed?«
»Ich merke sehr viel, Kebir.« Ali ben Achmed lächelte gequält. »Wie soll das weitergehen?«
»Mit der tragischen Selbstverstümmlung unseres Stolzes, Achmed. Wir müssen es durchhalten. Cathérine wird den Hakim überzeugen, daß zu einem weißen Mann eine weiße Frau gehört. Mit ihrem Körper wird sie ihn überzeugen. Wichtig ist nur, daß Saada ihn nicht wiedersieht. Für uns arbeiten die Nächte, die voller Sehnsucht für Cathérine sind.«
Das war ein weiser Rat, für den Kebir drei Hühner und eine Hammelkeule kassierte. Aber der klügste Rat ist sinnlos, wenn er nicht auszuführen ist. Bei Achmed stellte sich diese Schwierigkeit ein … Saada entfloh zehn Minuten nach diesem Gespräch aus dem Haus in die Wüste.
»Bringt sie wieder!« schrie Achmed und rannte durch den Garten, wo seine Diener hinter den Büschen standen wie schlachtbereite Lämmer. »Wer sie zurückbringt, dem erlasse ich alle Schläge. O Allah! Wenn Saada etwas geschieht … mehr Prügel als Essen werdet ihr bekommen!«
Von da an war das Haus Ali ben Achmeds leer. Er saß allein in seinem prunkvollen Zimmer und wartete. Die Diener waren ausgeschwärmt, mit den besten Reitkamelen, die der Scheich in den Ställen hatte.
Eine Gruppe ritt geradewegs zur Station XI, zwei andere Streifen durchkämmten die Wüstenberge. Nur zum Camp XII mit seinem flammenden Bohrturm wagte sich niemand. Der Bericht Abu ben Gossarahs über die Vernichtung seiner Karawane durch Pierre Serrat ließ wenig Hoffnung übrig, daß sie bei einem Besuch dieser Station mit heilen Knochen wieder zurückkamen.
Aber sie legten sich auf die Lauer. Sie kreisten das Camp ein. Auf den Hügelketten ließen sie die Kamele hinknien und hockten sich selbst in der Körperschatten der Tiere. Von hier aus überblickten sie das ganze Gebiet … die beiden Straßen, die Kreuzung, wo unter einem kreischenden Gewimmel von Geiern die Kamele bis zu den Gerippen abgehackt wurden, die Täler der Sanddünen, das weite Viereck der Baracken, Garagen und Magazine, die beiden Bohrtürme, von denen einer in einer fettigen, riesigen Wolke untergegangen war.
Wenn Saada auf Umwegen hierher wollte, – die Wachen würden sie sehen und versuchen, sie einzufangen wie einen ausgebrochenen Hengst.
Aber die Diener Achmeds kamen bereits zu spät.
Als sie ihre Beobachtungsposten auf den Hügelkuppen bezogen, befand sich Saada mit dem Schimmel Fakir schon seit einer halben Stunde innerhalb des
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