Der Gefangene der Wüste
Eisengestänge glühten und bogen sich in der fürchterlichen Hitze. Es war unmöglich, näher als vierzig Meter an den Turm heranzukommen, selbst der Sand schien zu schmelzen. Hilflos standen die beiden Feuerwehren herum und spritzten ein bißchen Schaum durch die Gegend. In einem weiten Kreis umstanden die Männer von Camp XII den riesigen schwarzen Rauchpilz.
»Gut, daß Sie so schnell kommen, Doktor«, sagte ein Mann mit einem weißen Schutzhelm über dem dreckigen, schwitzigen, ölverschmierten Gesicht. »Die Verwundeten liegen in der Schreibbaracke. Ich bin Henry Watteau, Vorarbeiter dieser Scheißstelle. Haben Sie alles bei sich?«
»Alles.«
Henry Watteau atmete sichtlich auf. »Dann kommen Sie. Welch ein Glück, daß wir endlich wieder einen Arzt hier haben –«
Pierre Serrat blickte ihnen mit einem dumpfen Grinsen nach.
Die Zerstörungen an den Wohngebäuden waren nicht so stark, wie man nach dem Überfall zuerst geglaubt hatte. Auch die Verwundeten hatten keine lebensbedrohenden Verletzungen davongetragen, bis auf einen kleinen, weinenden Italiener, dem Dr. Bender einen Steckschuß aus der Schulter operieren mußte.
»Er hat viel Blut verloren«, sagte Dr. Bender zu Henry Watteau, der den Untersuchungen zusah. »Die Kugel sitzt im Schulterblatt. Ich möchte ihn hier operieren, um ihm den Transport nach Ouargla zu ersparen. Vor allem aber muß er frisches Blut haben. Ich werde die Blutgruppe feststellen, und dann können die Spender antreten.«
»Für Luigi legen wir uns alle hin, Doktor. Seine Blutgruppe hat er im Paß.«
»Sehr gut.« Dr. Bender suchte in der Jacke Luigis und fand die verbeulte, durchgeschwitzte Brieftasche mit den Papieren. Blutgruppe B 1. »Lassen Sie ausrufen, wer B 1 hat. Ich fange sofort an.«
Watteau rannte aus der Baracke. Luigi weinte noch immer. Er umklammerte mit beiden Händen den Arm Dr. Benders, als sie jetzt allein waren. Wie ein Junge sah er aus, ein schwarzer Krauskopf aus Palermo, mit braunen Augen wie ein Reh.
»O Mama –«, weinte er. »O Mama … ich will nicht sterben. Dottore … ich will nicht sterben. Sie warten auf mein Geld … ganze Familie … Mama, Papa und neun Geschwister. Sie werden verhungern, wenn Luigi stirbt. O Madonna mia … ich will nicht sterben …« Er tastete über seine nackte Brust, riß das goldene Medaillon, das er an einem Kettchen um den Hals trug, an den Mund und küßte es immer und immer wieder. Dabei rollten die Tränen über sein zuckendes Gesicht.
»Du wirst nicht sterben, Luigi.« Dr. Bender zog eine Spritze mit Cliradon auf. »Die Schmerzen sind gleich wie weggeblasen … du wirst dich leicht fühlen und schlafen. Und wenn du aufwachst, fliegst du bereits nach Ouargla –«
»Sie garantieren mir das, dottore?«
»Ja, Luigi.«
Während Dr. Bender alles für eine Notoperation vorbereitete, klingelte im Nebenzimmer pausenlos das Telefon und tickte der Telegraf.
Von Hassi-Messaoud bis Algier waren alle Verwaltungsstellen der Ölgesellschaft alarmiert. Der Ölbrand war nicht mit normalen Mitteln zu löschen. Es war unmöglich, an den Herd heranzukommen, und solange aus der Tiefe der Erde das Rohöl durch das mit Stahlrohren ausgekleidete Bohrloch an die Oberfläche schoß, brannte das flüssige Gold ohne Unterbrechung. Und es würde in fünfzig Jahren noch brennen!
Dr. Bender trat hinaus aus der Verwaltungsbaracke und suchte den Horizont ab. Die Wüstenpiste war deutlich zu sehen bis zu dem Punkt, wo sie über dem Hügel verschwand. Dazwischen lag das Tal, in dem Serrat die Karawane erschossen hatte. Die Geier unter dem hitzeflimmernden Himmel waren verschwunden. Sie hockten jetzt auf den Kadavern und rissen die Leiber in Stücke. Die Berber waren also weitergezogen, zu Fuß nach Bou Akbir. 30 Kilometer durch glühenden Sand, im Herzen den Brand der Rache … welch ein Weg!
Dr. Bender atmete auf, als auf der Hügelkuppe ein schwarzer Punkt erschien und schnell näher kam. Dann tauchte er in das Tal.
»Endlich!« sagte Dr. Bender leise und ging zurück in die Baracke.
Schwester Cathérine kam. Mit einem Lastwagen, mit vier Tragen, dem transportablen Narkosegerät, das gestern eingeflogen worden war, mit Infusionsflaschen und Plasma.
Bis zur Ankunft des Lastautos bereiteten Dr. Bender und Henry Watteau das Zimmer für die Operation vor. Ein Tisch wurde mit Seifenlauge geschrubbt, der Sanitäter von Camp XII besprühte ein Bettuch mit Karbol. Die anderen Verwundeten waren gut versorgt worden; Dr. Bender hatte sich
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