Der Gefangene der Wüste
Lust, laut zu den Dienern zu schreien: »Tötet sie! Werft sie den Geiern vor! Weg mit ihr …«, aber dann siegte die bessere, weiblichere Rache.
Sie umklammerte die schlanke Säule des Balkons und blickte über Cathérine hinweg in die Wüste.
»Ich wollte ihn nicht wiedersehen«, sagte sie und betonte jedes Wort, damit es auch deutlich zu verstehen war. »Ich hatte ihn aus meinem Herzen gestrichen. Er gehörte dir … Nun ist es anders. Ich werde zurückkehren in dein Leben, ich werde ihn dir abjagen wie eine Beute. Dieser Stolz der Weißen – ich bespucke ihn! Dieser Hochmut! Ich werde ihn zertreten! Hörst du –« Sie senkte den Kopf. Ihre Augen flammten auf mit einer Glut, die sich in Cathérines Herz fraß. »Schleif ihn dir heute nacht ins Bett … ich hole ihn mir wieder! Ich bin stärker als du … ich bin schöner als du …«
Cathérine nahm es den Atem. Ohne Möglichkeit, etwas zu tun, ballte sie die Fäuste. Aber dann plötzlich löste sich ihre Erstarrung, blitzschnell bückte sie sich, krallte die Finger in den Boden, riß zwei Hände voll Sand und Erde heraus und schleuderte sie Saada ins Gesicht. Sie traf nicht, der Schmutz zerstob in der Luft, nur ein paar Bröckchen fielen auf den Balkon neben die Säule.
Cathérine wollte noch etwas rufen, aber da hatten die Diener sie schon ergriffen, hoben sie einfach hoch, als sie um sich schlug und trat, und trugen sie wie eine kreischende Katze weg durch den Garten bis zu der kleinen Pforte. Dort warfen sie Cathérine vor die Mauer und verriegelten dann die Tür.
Das helle Lachen Saadas flog hinter ihnen her. Das Lachen der Siegerin.
Bleich vor Wut lehnte sich Cathérine an die hohe, weißgetünchte Mauer. Ihre Niederlage war so vollkommen, daß sie sich selbst hätte zerfleischen können in sinnloser Raserei.
Sie lacht … sie lacht über mich … während sie mich hinauswerfen ließ wie einen streunenden Hund.
Serrat … Pierre Serrat … du Bulle von Kerl … ich verspreche dir alles, wenn du sie umbringst.
Ich kann nicht mehr atmen, wenn ich an sie denke. Ich verbrenne mich selbst in meinem Haß.
Ich habe die Hölle erreicht, wo es kein Mitleid mehr gibt.
Die Unterredung zwischen Dr. Bender und Scheich Achmed war ebenfalls kurz, nur höflicher und männlich-logischer.
Sie begann mit einem Paukenschlag, den Achmed nicht erwartet hatte. Er trank gerade den heißen Kaffee und schmatzte wohlig, denn der dampfende Trank war dickflüssig und gut gesüßt, als Dr. Bender sagte: »Ich bin gekommen, um mit Ihnen über Saada zu reden, Scheich Achmed.«
Ali setzte die Tasse sofort ab. Seine Augen verengten sich. In seinen wertvollen Gewändern wirkte er wie eine sitzende Statue. Der goldene Hintergrund verstärkte noch den Eindruck.
»Was hat meine Tochter mit Ihnen zu tun, Doktor?« fragte er zurück.
»Ich liebe sie.«
»Das wagen Sie mir zu sagen? Ins Gesicht? So, als handele es sich darum, ein Pfund Feigen zu kaufen?« Achmed dachte an den Rat des weisen Kebir und regte sich nicht auf. Er sagte alles ganz nüchtern, ohne die Leidenschaft herauszulassen, die in seinem Inneren tobte. Unterkühlt wirkte er, überlegen, so, als habe ein Mäuslein gezirpt, das er gleich zertreten würde.
Dr. Bender fühlte sich in diesen Minuten wirklich unterlegen. Es ist immer eine verteufelte Angelegenheit, vor den Vater eines Mädchens zu treten und ihm zu sagen, daß man gewillt ist, seine Tochter aus dem Hause wegzunehmen. Denn darauf läuft es ja hinaus: Man nimmt ihm die Tochter weg, entführt sie in eine unbestimmte Zukunft, die man zwar in den besten Farben schildern kann und die doch keiner glaubt. Es ist wie auf dem Sektionstisch – man läßt sich aufschneiden, läßt die anderen in sich hineinschauen, sie können herumwühlen und suchen, um schließlich zu sagen: Sauber ist er zwar, aber ob das reicht?
Hier war es noch etwas anderes: Zwei Welten standen sich gegenüber, die aneinander vorbeidachten, die sich nur oberflächlich verstanden, grundverschieden waren in ihren Ansichten, ihrer Lebensweise, ihrer Einstellung gegenüber dem Tod, ihrer Moral und Mentalität, ihrer Religion und letztlich in ihren Lebenszielen.
Das größte Hindernis aber war, daß Achmed seine Tochter liebte wie die Sonne und das kühle Wasser im Brunnen.
»Ich weiß, es ist ungewöhnlich, was ich tue«, sagte Dr. Bender. »Vielleicht entspricht es nicht Ihren Sitten, aber ich dachte mir, daß ein offenes Wort viele Mißverständnisse ausräumt. Ich bin Arzt, ich werde noch
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