Der Gefangene der Wüste
zwei Jahre in der Sahara bleiben und dann zurückkehren nach Deutschland. Dort werde ich eine Praxis aufmachen, in irgendeiner kleinen Stadt, wo Saada und ich glücklich leben können.«
»In Deutschland«, sagte Achmed finster.
»Ja.«
»Sie wird frieren. Sie braucht das Licht der heißen Sonne, die Wärme des Sandes, die Kühle des Palmenschattens. Sie wird eingehen wie eine Blume im Sandsturm, das Heimweh wird sie aushöhlen, sie wird sterben aus Sehnsucht nach der Wüste.« Achmed zählte diese Dinge auf wie ein Handelsmann, der seine Ware anpreist. Er ließ Bender keine Möglichkeit, zu widersprechen. »Trinken Sie Ihren Kaffee, Doktor, und lassen Sie uns sprechen von einem rätselhaften Fall, der sich in Bou Akbir zugetragen hat. Abdallah, ein braver Mensch, der sehr krank war, ist verschwunden. Einfach verschwunden. Seine Familie glaubt an Geister … aber ich nicht. Haben Sie eine Erklärung für das Verschwinden Abdallahs?«
»Nein. So etwas kann man nicht erklären. Aber die Liebe Saadas ist erklärbar …«
»Saadas Liebe?« Achmed hob die Augenbrauen. Bisher war nur die Rede davon gewesen, daß der Doktor sie liebte. Ein schrecklicher Verdacht kroch in Achmed hoch und umklammerte wie mit Eisen sein Vaterherz. »Sie hat es Ihnen gesagt?«
»Ja, wir sind uns einig.«
»Sie war in der Nacht bei Ihnen?«
Dr. Bender zögerte. Es war eine direkte Frage, die Saada bloßstellte. Als er Ali ben Achmed ansah, erkannte er, daß Lügen keinen Sinn hatten.
»Sie kam ins Lager geritten … in das Lager XII, dessen Bohrturm Ihre Leute angezündet hatten …«
»Wie können Sie so etwas sagen?« Die Stimme Achmeds war gefährlich leise. Sie streichelte die Worte.
»Sie kam zu mir, um sich für Sie zu entschuldigen. Und als sie wieder wegritt, wußten wir, daß wir zueinander gehören –«
Achmed senkte den Kopf. Sein Gesicht versank fast in den Falten der seidenen Dschellabah. Er hat sie mir genommen, dachte er und blickte in sich wie auf ein tobendes Meer. Er hat sie abgerupft wie einen Grashalm. Er hat sie entehrt, besudelt, ihre Mädchenhaftigkeit geraubt. Er ist über ihr gewesen wie der Hengst über einer Eselin. Meine Saada, mein Stern, mein Kind, meine ganze Welt … er hat es zerstört!
»Gehen Sie«, sagte Achmed leise. »Gehen Sie sofort! Flüchten Sie aus diesem Haus, oder –« und seine Stimme schwoll an zu einem heiseren Brüllen – »oder ich lasse Ihnen den Kopf abschlagen. Allah – Allah verzeih mir, daß ich es nicht gleich tue.«
Dr. Bender war aufgesprungen. Hinter ihm sprangen die Doppeltüren auf. Die beiden Riesen stampften ins Zimmer. Henker wie aus einem Märchen. Braun, mit nacktem Oberkörper, eine sich bewegende Masse aus Muskeln.
Dr. Bender fuhr herum. Er hatte keine Waffe bei sich, und er wußte, daß er verloren war, wenn Achmed einen Wink gab. Niemand würde ihn vermissen, keiner von seinem Ende erfahren. Er war einfach verschwunden. Natürlich würde man ihn suchen, aber die Wüste verschluckte so viele, warum nicht auch einen deutschen Arzt? Nach ein paar Tagen schloß man dann die Akten und machte einen Strich durch seinen Namen.
Verschollen. Ein aufgesaugter Wassertropfen in der Wüste.
Die Männer im Camp würden schweigen, dafür sorgte schon Serrat. Aber Cathérine? Was war mit ihr? Schwieg sie auch?
»Das ist keine Lösung der Probleme, Achmed!« rief Dr. Bender. »Man kann nicht mit Gewalt alles geradebiegen.«
Achmed ben Ali atmete schwer. Niemand konnte begreifen, wie schwer es jetzt war, vernünftig zu bleiben. Das jahrhundertealte Gesetz der Wüste mußte blind werden.
»Ich will Sie nicht mehr sehen«, sagte Achmed mühsam. »Nie mehr, Doktor! Ich verfluche Sie! Wissen Sie, was das heißt? Jeder meiner Brüder hat das Recht, Sie zu töten, wenn er Sie in Bou Akbir sieht. Und es wird keinen geben, der Sie beschützt. Ein Sandfloh ist mehr als Sie. – Gehen Sie … gehen Sie schnell –«
Dr. Bender ging. An den beiden Riesen vorbei verließ er schnell das Haus und traf draußen die zwei Bewacher. Auch Cathérine saß im Wagen, in sich versunken, wie zusammengekrochen. Sie blickte nicht auf, als Bender einstieg und den Männern zu rief: »Nach Hause!«
Stumm fuhren sie eine Stunde durch die Wüste, ehe Cathérine sich rührte. Mit einer Zärtlichkeit, die Bender verblüffte und ratlos machte, legte sie ihren Kopf an seine Schulter.
»Erfolgreich?« fragte sie mit kleiner Stimme wie ein Kind, das lange geweint hat und nun um Aufmerksamkeit
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