Der Gefangene der Wüste
Achmed, die anderen drei verteilten sich auf einen Großhändler für alle Oasenerzeugnisse, ein Caféhaus und auf den Priester der Moschee von Bou Akbir. Außerdem gab Serrat zwei Männer als Leibwache mit.
»Keine Widerrede!« sagte er, als Dr. Bender ihn anschrie, er sei ein Idiot. »Die beiden fahren mit – oder Sie fahren nicht. Werden Sie nicht aufsässig, Doktor! Wir brauchen Sie nicht, – aber Sie brauchen uns.«
Dr. Bender fügte sich. Er hoffte noch immer, daß er den Piloten des Hubschraubers sprechen konnte, wenn dieser die Post abholte, eilig bestelltes Material brachte oder zurückkommende Urlauber ablieferte. Meistens blieb der Hubschrauber drei Stunden auf Station XI, ehe er wieder zurücksurrte nach Hassi-Messaoud und Ouargla. Das war die einzige Chance Benders, aus der Umklammerung Serrats auszubrechen.
Den Verletzten in Camp XII ging es gut. Der Sanitäter der Bohrstelle, der Italiener Rugieri Pella, war ein kleiner, fleißiger Mann, der seinen Beruf ernst nahm, sich wirklich um die Kranken kümmerte und nicht mit ihnen herumsoff unter dem Motto: Alkohol heilt alles, vom Beinbruch bis zum Tripper. Er war rührend um die Verwundeten besorgt, wechselte ständig die Verbände und präsentierte Dr. Bender drei saubere Krankenstuben mit weiß bezogenen Betten und zufriedenen Insassen.
»Sie sind ein Teufelskerl, Rugieri«, lobte Dr. Bender den kleinen flinken Italiener. »Wo haben Sie das gelernt?«
»Im Hospital St. Felicita von Roccero bei Palermo, dottore«, sagte Pella stolz. »Ich war der beste Krankenpfleger.«
»Und warum sind Sie dann in diese verfluchte Wüste gegangen?«
»Das ist eine lange Geschichte, dottore.« Rugieri Pella fuhr sich mit gespreizten Fingern durch die schwarzen, krausen Haare. Seine großen, dunkelbraunen Kinderaugen wurden traurig. »Es fing damit an, daß Pietro nicht unsere Luisa heiraten wollte, obwohl er sie verführt hatte. Luisa ist meine Schwester, dottore, und Pietro war der jüngste Sohn unseres Nachbarn Sandretti in Roccero. Luisa bekam ein Kind, und Pietro sagte noch immer Nein. Er lachte über uns. Da ging mein Bruder Roberto hin und erschoß Pietro. Das war sein gutes Recht.«
»Und was haben Sie damit zu tun, Rugieri?« fragte Bender.
»Das ist es eben, dottore … es ging nun hin und her. Sandro Sandretti erschoß meinen Bruder Roberto, mein Vater erschoß den alten Sandretti, Sandro erschoß meinen Bruder Luigi, mein Vater erschoß Sandro –«
»Gott im Himmel!« rief Dr. Bender entsetzt. Rugieri nickte traurig.
»Gott half nicht, dottore. Die Blutrache ging weiter. Nach einem Jahr lebten nur noch Mama und mein kleiner Bruder Carlo. Von den Sandrettis aber lebten noch fünf. Sie hätten uns glatt vernichtet. Da rief Mama im Hospital an: Rugieri, hilf uns, sie rotten uns aus! Da legte ich meinen weißen Kittel ab und kam nach Hause.«
»Und dann?« fragte Dr. Bender ahnungsvoll.
»Ich rettete Mama und Carlo … die Sandrettis gibt es nicht mehr.«
»Sie haben fünf Menschen umgebracht, Rugieri?«
Rugieri Pella nickte wehmütig. Seine braunen Kinderaugen sahen zu Bender hinauf, als bettelten sie um ein Stückchen Schokolade. »Sieben Sandrettis, dottore … da waren noch zwei Onkel, die schalteten sich ein.«
Später auf der Fahrt nach Bou Akbir kam Bender auf Pella noch einmal zurück. »Begreifen Sie das, Cathérine?« fragte er. In seiner Stimme schwang noch das Entsetzen nach. »Da bringt ein Mensch sieben Menschen um und pflegt jetzt in der Wüste die Kranken und Verletzten wie eine Mutter. Er opfert sich auf für sie, verliert nie die Geduld, ist allen der beste Freund … mit sieben Morden auf dem Gewissen. Ich glaube, wir lernen die menschliche Seele nie begreifen …«
»Nie!« sagte Cathérine laut.
Auch mich wirst du nie begreifen, dachte sie dabei. Wie ein steriles Gefäß behandelst du mich … es wird der Augenblick kommen, wo ich das nicht mehr ertragen kann.
Sie kamen an die Stelle, wo unbekannte Reiter den armen Domaschewski verstümmelt und enthauptet hatten. Dr. Bender hielt an und betrachtete stumm das aus rohen Balken gezimmerte Kreuz, das Oberingenieur Brennot noch vor seinem Abflug hatte herstellen und hier in den Sand hatte rammen lassen. Cathérine saß neben ihm mit verkniffenem Mund. Sie war die einzige, die wußte, warum Domaschewski so grauenhaft sterben mußte, und als sie jetzt vor dem Holzkreuz hielten, empfand sie keinerlei Reue. Serrat wird es besser machen, dachte sie bloß. Er ist nicht blind vor
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