Der Gefangene der Wüste
nachdenken«, antwortete Serrat ehrlich. Es war ein Problem, das er bisher tunlichst umgangen hatte.
»Ihr könnt ihn doch nicht jahrelang verstecken!«
»Hm.« Serrat setzte sich. Sein breites Gesicht legte sich in Sorgenfalten wie bei einem traurigen Boxerhund. »Ich rechne mit dir, Cathérine …«
»Mit mir? Ich spucke dich an –«
»Vergeude kein kostbares Naß.« Er lächelte fade. »Überleg einmal, Schätzchen! Jetzt hast du ihn ganz für dich. Keiner kann ihn mehr wegnehmen. Von uns aus kannst du zu ihm ziehen und Tag und Nacht bei ihm liegen. Wir gönnen es dir. Nur den Mund mußt du halten, das ist alles. Niemand wird dich stören … auch Saada nicht … denn du liebst ja einen Toten. Na, ist das ein Plan?«
Er wollte gelobt werden, aber Cathérine tippte an ihre Stirn.
»Und später?«
»Das liegt an dir, Mädchen. Er muß dich so lieben, daß er alles vergißt … Afrika, das Öl, die Hadjar-Krankheit, seinen Vertrag, unsere verfluchten Camps, die Wüste … er muß nur noch dich sehen, und du nimmst ihn mit nach Europa, in die kalte Heimat. Für uns bleibt er tot … wer fragt schon danach, wenn ihr in Deutschland auftaucht, ob er in der Sahara als tot gemeldet ist?«
Cathérine wurde plötzlich ruhig. Ihre Augen bekamen einen nachdenklichen Ausdruck.
»Die Idee ist gar nicht so übel«, sagte sie. »Sie wäre für uns alle eine gute Lösung. Jetzt liegt es nur an mir …«
»Du wirst es schon schaffen, Schätzchen.« Serrat tätschelte ihre auf dem Tisch liegenden Hände. »Bei deinem Körper, deinem Hunger nach ihm … du müßtest ihn betäuben mit deiner Liebe. Ich weiß, du schaffst es …«
Cathérine antwortete nicht. Sie dachte an Saada. Sie hörte ihr triumphierendes Lachen. »Wenn du ihn liebst, wird er an mich denken …«
»Pierre –«, sagte Cathérine langsam.
»Ja, mein Schätzchen?«
»Schick die anderen hinaus. Ich muß mit dir allein reden.«
Serrat zögerte. Dann nahm er Cathérine die Pistole aus dem Halfter – bei ihr mußte man mit allem rechnen – und winkte den anderen zu.
»Wir sind allein.« Serrat blieb an der Tür stehen. Katzen können große Sprünge machen, dachte er. Und Cathérine ist eine Raubkatze. »Was soll das?«
»Auch ich habe einen Plan«, sagte Cathérine. Sie sprach so ruhig, als erzähle sie etwas Gelesenes. »Und jetzt mußt du mir helfen, Pierre.«
Der Raum war fensterlos, stickig und stank nach Schmieröl und Benzin.
Dr. Bender blieb eine Weile auf dem festgestampften Boden liegen, so wie ihn die Männer hineingeworfen hatten, und gewöhnte sich langsam an das fahle Dunkel. Durch einige Ritzen der Bretterwände schlich sich ein Schimmer von Licht, so schwach, daß die Augen Minuten brauchten, um auch diese Lichtquelle zu verarbeiten. Dann aber schälten sich die Gegenstände seiner neuen Umgebung aus der Dunkelheit.
Pierre Serrat und seine Männer hatten alles bestens organisiert. Ein Feldbett stand an der einen Wand, mit einer Seegrasmatratze und sogar zwei Wolldecken gegen die Nachtkühle der Sahara. An der anderen Wand stand ein eisernes Gestell mit einer Waschschüssel voll Wasser, daneben ein Plastikeimer – sicherlich für die tägliche Notdurft – denn man hatte auf den Eimer einen alten Blechdeckel geklemmt. Ein Stuhl stand einsam herum, eine Kiste als Tisch, und auf der Kiste lag ein Kartenspiel.
»Wie menschlich«, sagte Dr. Bender bitter. Er war aufgestanden und durchmaß sein Gefängnis mit langen Schritten. Es war in der Größe direkt komfortabel. 5 x 6 Meter, ein Saal für einen Gefangenen. Über ihm, auf dem Dach, hörte er Kratzen und ein klatschendes Schlagen.
Die Geier. Sie hockten auf dem Dach und warteten auf die Abfälle von der Küche. Sie waren überall, wo Leben sich regte, denn Leben bedeutet auch Tod. Und vom Tod lebten sie.
Dr. Bender setzte sich auf den Stuhl und ließ das Kartenspiel durch die Finger gleiten. Was kann man allein spielen, dachte er. Patiencen legen, mit einem imaginären Gegner Schwarzer Peter, mit drei gedachten Gesellen Poker … irgendwie war das alles möglich, lenkte ab, verscheuchte das Grübeln, den Verfall in den Stumpfsinn oder den Wahnsinn.
Er ließ die Karten auf die Kiste fallen und nahm seine Wanderung durch das Zimmer wieder auf. Er ging die Wände entlang und versuchte, durch die Ritzen der Wandbretter nach draußen zu blicken. Aber die Zwischenräume waren zu schmal. Die Bretter waren auf Nut und Feder genagelt, und nur die Millimeter der Austrocknung schufen
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