Der Gefangene der Wüste
Wohnt im Hotel Oasis.«
»Dann ist ja alles in Ordnung«, sagte Saada glücklich.
»Alles.« Serrat schloß die Glaskanzel. Der Pilot nickte. Wie eine schillernde Libelle hob sich der Hubschrauber vom Boden ab. Sie stiegen in den Himmel, der hellen, weißen Morgensonne entgegen, und Saadas Herz hämmerte vor Freude.
Ich sehe ihn wieder. In Algier. In einem Hotel.
Allah, du bist ein gütiger Gott –
Sie würde Allah verflucht haben, hätte sie das Ziel ihrer Reise gekannt.
Dr. Bender erwachte aus seiner Besinnungslosigkeit in einem fensterlosen Zimmer. Er brauchte ein paar Minuten, um sich zurechtzufinden, sein Schädel brummte, und auf der Hirnschale lastete ein Druck, als läge ein Zentnersack darauf. Dann aber kehrte das klare Denken zurück, er sprang auf, stand ein wenig unsicher in dem kahlen, durch eine traurige Petroleumlampe, die von der Decke hing, erhellten Raum. Das Bett, auf dem er bisher gelegen hatte, war eine Art Diwan, zerschlissen und mit einem alten Teppich bedeckt.
Das ist ja alles Wahnsinn, dachte er, als er sein neues Gefängnis abging. Es wird sich alles in einem Gespräch klären lassen.
Er lief zu der dicken Holztür und donnerte mit den Fäusten dagegen. Der Ton hallte dumpf wider, als befände sich der Raum in einem Gewölbe. Dann legte er das Ohr an die Tür und lauschte.
Nichts rührte sich. Die Stille war vollkommen. Es war, als läge er bereits in einem Grab, als habe man ihn hier lebendig eingemauert.
Diese Erkenntnis nahm ihm fast den Atem. Er sah sich genauer um, und das Grauen erfaßte ihn wie ein Würgen.
Das bis auf den alten Diwan leere Zimmer. Kein Fenster, nackte Wände, eine trübe Glühbirne, festgestampfter Lehmboden, eine Tür, die man nie auframmen konnte. Ein Raum ohne Sauerstoffzufuhr.
Ein Grab.
Dr. Bender brach der Schweiß aus allen Poren. Es war lachhaft, aber er erinnerte sich jetzt an die Oper ›Aida‹, in der im letzten Akt das Liebespaar Aida-Radames lebendig eingemauert werden. Eine Tötungsart der alten Ägypter, die sie auch an den Bauarbeitern der Pyramiden praktizierten. Waren die Königsgräber gebaut, mauerte man die Sklaven zuletzt mit ein.
»Nein!« stammelte Bender und riß sich das Hemd über der Brust auf, als beginne bereits das Ersticken. »Nein! Das ist nicht wahr! Das ist doch nicht möglich!« Er stürzte wieder zur Tür und hämmerte gegen das Holz. Wie Paukenschläge dröhnte es durch das Gewölbe. Er trat gegen die Tür, er schrie »Aufmachen! Aufmachen!«, obwohl er wußte, daß es sinnlos war, aber er wollte nicht stumm sterben, er wollte sich wehren bis zuletzt, und wenn es auch nur die kahlen Wände waren, die seine Verzweiflung miterlebten.
Später – er hatte jeglichen Zeitbegriff verloren – lief er in seinem Grab herum, immer die Wände entlang, ein eintöniger Rundgang wie die Ochsen an den alten Brunnen, die mit verbundenen Augen in ihrem Joch tagaus, tagein im Kreis gehen und das Wasser aus der Tiefe pumpen.
Rechnen wir, dachte er nach einer langen Zeit des Wanderns und setzte sich auf den Diwan. Rechnen wir aus, wie lange die Luft reicht. Es ist ein teuflisches Exempel, denn wem ist es schon gegeben, seinen Tod mathematisch zu bestimmen.
Das Zimmer ist fünf Meter lang und fünf Meter breit und drei Meter hoch. Das sind fünfundsiebzig Kubikmeter Raum. Gefüllt mit muffigem Sauerstoff, der sich langsam umwandelte in Kohlendioxyd, das das Blut zersetzt und die Lungen lähmt.
So etwas geschieht nicht plötzlich, ein paar Tage kann das dauern, ein grauenhaftes Sterben, ein langsames, wissendes Sterben, ein genau zu spürendes immer Wenigerwerden.
Dr. Bender legte sich auf den Diwan und atmete ganz langsam und flach. Auch das ist Blödsinn, dachte er. So wenig Luft wie möglich verbrauchen. Wozu? Um den Tod noch länger hinauszuzögern? Um noch einen oder zwei Tage länger in diesem Grab herumzurennen? Um vielleicht wahnsinnig zu werden vor dem Entsetzen, das jeder Blutstoß zum Herzen trägt. Wer kann das aushalten, lebendig begraben zu sein?
Er mußte Stunden gelaufen und gelegen haben, denn schließlich schlief er wieder ein, von einer Müdigkeit weggetragen, die er genau beobachtete und gegen die er nicht ankam.
Beginnt es jetzt schon, dachte er bloß. Der große, ewige Schlaf? Wird man nur müde und wacht nicht wieder auf? Ist das so einfach?
Aber er wachte wieder auf. Jemand rüttelte ihn, und als er benommen die Augen aufschlug, sah er das Gesicht Achmeds vor sich, wie in einem Nebel schwebend, wie ein
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