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Der Gefangene der Wüste

Der Gefangene der Wüste

Titel: Der Gefangene der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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das sah jeder ein und respektierte es auch. Für Saada aber waren die bunten Fotos ein Blick ins Paradies. Ihre Phantasie baute himmlische Paläste in den Städten. Nun war sie auf dem Weg in das ersehnte Land, und sie traf den Doktor dort, den Mann, der ihr Herz mitgenommen hatte … wie es im Traum gewesen war.
    Serrat hatte in diesen Minuten ganz andere Gedanken.
    Von Ouargla nach El-Oued sind es ungefähr 270 Kilometer, rechnete er. Die Straße ist gut. In einer Nacht müßte man sie herunterreißen können, man braucht nur ein gutes Fahrzeug und eine Ausrede, warum man den Flug nach Algier unterbricht. Um Saada hatte er keine Sorge … sie wußte nicht, wo Algier lag, ob man nach Norden oder Osten fahren mußte, sie vertraute ganz auf Serrat, ein Kind voll ergreifender Gläubigkeit an das Gute im Menschen.
    Serrat kaute an der Unterlippe und rang mit sich.
    Ein Sklavenmarkt, – das ist die höchste Teufelei, die es gibt. Da muß man alle menschliche Seele in den Sand vergraben, da muß das Herz zu einem Salzstein werden, da darf das Hirn nicht mehr denken, und die Augen dürfen nicht mehr sehen und die Ohren nicht mehr hören, was menschlich ist.
    Zwar hat sich vieles geändert, dachte er und versuchte, den letzten Rest seines Gewissens zu beruhigen. Er begann, sich selbst zu überreden. Es gibt sie nicht mehr, die elenden Sklavenzüge, die armen Wesen, nackt, an Ketten geschmiedet, das Joch um den Hälsen, vorwärtsgetrieben von den Nilpferdpeitschen ihrer Antreiber und Händler. Heute machte man das eleganter: Man nannte es einen ›Pilgerzug‹. Heilige Stätten gibt es überall, und wenn es nicht Mekka war, das beste Alibi der Händler, so war es irgendeine Wüstenstadt, wo ein heiliger Marabu regierte, wo eine Moschee von Allah selbst gesegnet war, wo man Gott und dem Propheten näher war als in der kleinen Dorfmoschee.
    Die Anfänger ließen noch Kamelkarawanen laufen, ein mühseliges, langsames Geschäft. Die Erfolgreichen und im Handel Eingeführten benutzten uralte Lastwagen und Omnibusse für ihre ›Pilger‹. Ganz offiziell rollten sie durch die Städte, ihre Menschenfracht jedem zeigend, denn alle glaubten an die Pilger … die Polizei, das Militär, die Behörden, das andere Volk. Nur die ›Pilger‹ selbst kannten ihr Schicksal und schwiegen.
    Die Methode, sie stumm werden zu lassen, war einfach und uralt. Die Verzauberung der Sklaven zu willenlosen menschlichen Hüllen begann gleich am Beginn der Reise ins Ungewisse. Immer waren einige Dumme unter ihnen, die sich nicht abfinden konnten mit dem Gedanken, ab jetzt eine Handelsware zu sein wie eine Orange oder eine Dattel, ein Mehlfladen oder ein Paar Sandalen. Aus dieser Gruppe der Aufsässigen, die schrien und tobten, die Wärter angriffen oder sogar zu flüchten versuchten, holte man drei heraus. Meist waren es ältere Frauen, die doch keinen großen Preis erzielten, in keinem Bordell oder Harem landeten, sondern als billige Arbeitskräfte, als menschliche Esel, die schwersten Lasten tragen sollten.
    Vor den anderen ›Pilgern‹ stellte man sie hin, hielt ihnen ihre Verfehlungen vor und peitschte sie dann so lange, bis der Sand sich rot färbte, das Schreien im Röcheln erstarb und schließlich die zuckenden Körper nicht mehr zu erkennen waren.
    Man ließ sie liegen für die immer gegenwärtigen Geier.
    Von da ab waren die ›Pilger‹ stumm. Sterben ist etwas Endgültiges … aber verkauft werden heißt wenigstens weiterleben. Vielleicht traf man es gut, bekam einen guten Herrn, ein gutes Lager, reichliches Essen, und die jungen Frauen träumten von einem feurigen Gebieter, der sie in sein Bett holte und dem sie die Kunst ihrer Liebe zeigen durften.
    Serrat schrak aus seinen Gedanken auf, als der Pilot den Motor drosselte.
    Ouargla. Die große Oase. Weiße Häuser, Moscheekuppeln, schlanke, weißleuchtende Minaretts. Tausende Palmen, Wassergräben, saftige Gärten, das Hotel Transatlantique mit seinem Swimmingpool und Terrassen, die Kasbah, ein Gewirr von verschachtelten Häusern und überbauten Gassen wie ein riesiger Termitenhaufen. Ouargla, die Sehnsucht der Kerle fern an den Öltürmen in der Wüste.
    Ingenieur de Navrimont beugte sich zu dem Piloten vor. Er schien die ganze Zeit über geschlafen zu haben und merkte erst jetzt, daß sie über Ouargla niedergingen.
    »Wieso denn das?« brüllte er dem Piloten in den Nacken. »Ich mußte doch in Hassi heraus!«
    »Da fliege ich zurück. Erst Ouargla, dann Hassi … ich bleibe dort. Das ist

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