Der Gefangene der Wüste
doch nicht lebendig begraben!«
Die schwere Tür schloß sich. Draußen wurden drei Riegel vorgeschoben; Bender zählte das Knirschen der Eisenstangen in den Halterungen. Dann entfernten sich die Schritte Achmeds und seines Dieners … und mit ihnen glitt auch das Leben weg.
Dr. Bender schlug die Hände vor das Gesicht und schwankte zum Diwan zurück.
Fünfundsiebzig Kubikmeter Luft.
Wie lange reicht sie? Wieviel atmet ein Mensch in einer Stunde ein und aus?
Er konnte nicht mehr rechnen. Alle erlernten Weisheiten fielen von ihm ab. Sein Gehirn revoltierte gegen das Grauen.
Er fiel auf das Bett und glaubte und hoffte erstmals in seinem Leben auf ein Wunder.
Aber gibt es sie noch … die Wunder?
Unterdessen war Saada schon weit von Bou Abkir entfernt.
Pierre Serrat hatte auf dem Flug von Camp XI nach Hassi-Messaoud eine Idee gehabt, die er sofort in die Tat umsetzte. Sie kam ihm plötzlich, als der Hubschrauberpilot, ein neuer, junger Mann, der erst seit zwei Wochen in Ouargla stationiert war, sich zu Serrat umwandte.
»Hast du die Sauerei gehört?« fragte er.
Serrat beugte sich vor. Der Motorlärm war so groß, daß weder Saada noch de Navrimont verstanden, was sich der Pilot und Serrat entgegenschrien.
»Welche Sauerei?« Serrat lachte. »Gibt's einen neuen Puff?«
»Nein, nur neue Mädchen. Aber die Sauerei an der Grenze. Nördlich von El-Oued, einem von Gott verlassenen Gebiet am Schott Djerid.«
»Keine Ahnung.« Serrat hob die breiten Schultern. Schott Djerid kannte er. Das was ein Salzsee-Gebiet in Tunesien, ein fürchterliches Stück Land, von der Sonne verbrannt, mit Salz bedeckt, an den Rändern, der Teufel weiß, wie's kommt, noch sumpfig, ein Salzsumpf, der Mensch und Tier hinunterzieht und für alle Zeiten pökelt. Wer von der Straße Nefta nach Gafsa abkommt und sich verirrt, den findet niemand mehr. Hier hat der Satan eine Pfanne aufgestellt, in der er das Entsetzen siedet.
»Regierungsflugzeuge, die Patrouille an der Grenze flogen, wollen eine Karawane gesichtet haben.«
»Na und –«, sagte Serrat verwundert.
»Eine Karawane mit Sklaven.«
»Verrückt!« Serrat tippte sich an die Stirn. »Das gibt's nicht mehr. Und hier schon gar nicht. Vielleicht noch im Sudan …«
»Die beiden Aufklärer gingen 'runter bis auf hundert Meter und überflogen ein paarmal die Karawane. Sie wurden von den Arabern beschossen … mit ganz modernen Maschinengewehren.«
»Das läßt den Hund auf der Hündin jaulen!« sagte Serrat entgeistert. »Wirklich?«
»Von Constantine haben sie sofort drei Jagdflugzeuge 'runtergeschickt. Aber sie kamen zu spät. Die Karawane war schon auf tunesischem Gebiet. Man konnte sie sehen … in aller Frechheit machten sie Rast. Die Piloten sagen, es waren mindestens hundert Mädchen …«
Das war der Augenblick, in dem bei Serrat ein Kontakt anschlug. Er schob die Unterlippe vor und atmete tief durch.
»Nur Weiber?« fragte er.
»Nur! Das ist ja die größte Sauerei! Nächste Woche will eine Kommission nach El-Oued kommen und alles untersuchen. Die besten Kriminalisten aus Algier. Aus Paris holen sie drei Fachleute für internationalen Mädchenhandel. Irgendwo muß da in der Wüste ein Sammelplatz der Händler liegen. Man vermutet die Zentrale in El-Oued. Dort gibt es allein neunundsechzig reiche arabische Händler, die alle ihre dreckigen Finger darin haben können. Alle neunundsechzig stinken von Geld –«
»Das ist wirklich eine Sauerei«, sagte Serrat und lehnte sich zurück. Dabei schielte er nach Saada. Sie genoß den ersten Flug ihres Lebens. Sie sah zum erstenmal die Wüste von oben, wie ein Vogel, und erlebte die Schönheit dieses Landes.
Die Sanddünen mit ihren Wellenmustern, die der Wind gezeichnet hatte, die bizarren kahlen Felsen mit den tiefen Schatten in ihren Falten, die kleinen Wasserstellen und Oasen, verlorene grüne Punkte um einen Brunnen, ein paar schiefe Palmen, verstaubte Tamarisken, das Band der Straße mit den Telefonmasten und den Lichtleitungen, die Wadis und die matt schimmernde Pipeline … die Ölleitung, die das flüssige Gold zur Küste pumpte. Das Öl, das die Sahara veränderte.
Wie schön wird erst Algier sein, die weiße Stadt am Meer, dachte sie. Die hohen Steinhäuser, die breiten Straßen, die blitzenden Autos, die eleganten Frauen, die blühenden Parks, die großen Schiffe im Hafen. Sie kannte das alles nur aus Zeitungen und Illustrierten, die sich Achmed von Ouargla kommen ließ. Ein Scheich muß mehr wissen als sein Dorf,
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