Der Gefangene der Wüste
den Motor an und fuhr weiter in die Wüstennacht.
Die schlafende Stadt Touggourt, eine der schönsten Städte zwischen Atlasgebirge und Wüste, mit schlanken Minaretts, einem riesigen Markt, einer großen Karawanserei, modernen Hotels und dem typischen Gewirr von engen, überbauten Gassen und flachen Häusern, auf deren Dächern sich tagsüber die Frauen aufhielten, noch tief verschleiert, wie der Prophet befohlen hatte, dieses Kleinod der Sahara durchquerte Serrat ohne Aufenthalt. Er kam an dem Kamelsattelplatz vorbei, wo ungefähr vierzig Tiere im festgestampften Sand knieten und vor sich hindösten. Drei Wächter saßen auf einer niedrigen Mauer, die alten, langen Gewehre, wie sie noch heute im Hoggar von den wilden Tuaregs benutzt werden, zwischen den Knien. Sie blickten Serrat bewegungslos nach, weiße Statuen, deren Augen sich nur bewegten.
Serrat war froh, Touggourt hinter sich zu haben, als die Straße nach El-Oued begann. In Städten kann es immer Kontrollen geben. Irgendein Polizist kann auf den Gedanken kommen, seinen langweiligen Nachtdienst durch dumme Fragen aufzulockern. Man konnte zwar keinem verbieten, nach El-Ouled zu fahren, die Wüste ist das freieste Land der Welt, gegen das die USA fast ein Zuchthaus sind, aber Serrat wollte keinen weiteren Aufenthalt.
Es war gegen ½ 4 Uhr morgens, als er El-Oued erreichte. Saada schlief noch immer in ihrer kindlichen Vertrautheit. Sie war umgesunken, zur Seite gerutscht und lag nun mit dem Kopf an Serrats Oberschenkel. Ein Häuflein Mensch, das in wenigen Stunden als verkaufte Ware in eine ungewisse, aber gewiß nicht angenehme Zukunft transportiert werden würde. Eine Menschenware, ein Stück lebendes Kapital.
Serrat fuhr langsam, mit gedrosseltem Motor durch die schlafende Stadt. Sie war größer, als er gedacht hatte, ein weißes Märchen aus Hunderten Kuppeln, modernen, fast europäisch anmutenden Außenvierteln, Palmenwäldern und riesigen Gärten. Hier, am Rande der Salzsümpfe, gab es Wasser genug, gab es eine Fruchtbarkeit, die den müden Fahrer aus der Wüste fast erschlug mit ihrer Pracht. 140.000 Menschen drängten sich auf diesem grünen Fleck inmitten grenzenloser Einsamkeit. Hier hatte Allah seine Hand segnend auf die Erde gedrückt. Aber ebenso übergangslos begann dann wieder die Wüste … steinig, voll Geröll, durchsetzt mit Sanddünen, um dann überzugehen in die Schotts, die Salzseen und Sümpfe, die das Schrecklichste sind, was die Wüste zu bieten hat. So nahe wohnen hier Allah und der Satan zusammen.
Serrat, zum erstenmal in El-Oued, hatte kein Auge für die gerade in der hellen Wüstennacht von bezwingender Schönheit strahlende Stadt. Er hielt sich nicht mit Bewundern auf, mied auch die modernen Viertel, sondern fuhr in die Altstadt, die Kasbah, wo die Jahrhunderte stillstehen und die Menschen Mohammed am nächsten sind.
Vor einem breiten Haus ohne Fenster hielt er an. Ein Schild über der Tür sagte jedem: Hier wohnt der Kaufmann Amar ben Habadra. Er mußte kein armer Mann sein, denn die Breite des Hauses und die fensterlose Front bewiesen, daß sich innen große säulentragende Höfe befinden mußten, eine kleine, abgeschlossene Welt, die Amar allein gehörte.
Serrat stieg aus und hieb mit der Faust gegen die dicke Holztür. Dabei sah er kurz auf seine Uhr. Gleich vier Uhr. Über der Wüste ging der Morgen auf. Im Osten färbte sich der Himmel milchig rot. Im Nebenraum, einer Bäckerei, roch es nach frischen Fladen und Brot.
Bei Amar ben Habadra rührte sich nichts. Serrat hämmerte weiter, wie Paukenschläge dröhnte es durch das stille Haus. Das muß einen Scheintoten aufwecken, dachte Serrat und trat gegen die Tür. Dieser letzte donnernde Knall schien bei Amar die Erkenntnis geweckt zu haben, daß es besser sei, nachzusehen, wer da am frühen Morgen sich wie ein Flegel benahm, ehe die Tür vollends zertrümmert wurde.
Serrat trat einen Schritt zurück, als innen ein Riegel knirschte. Amar öffnete selbst, in den Händen hielt er zwei Revolver. Serrat lachte rauh.
»Steck die Pufferchen weg, Junge«, sagte er auf französisch. Und als er sah, daß Amar anscheinend um diese frühe Stunde nicht gewillt war, die Sprache der Franzosen zu verstehen, fuhr Serrat auf arabisch fort: »Ich komme als Freund, großer Liebling der Frauen. Und ich bringe dir Ware. Eine Blume der Wüste, eine Rose, an der du noch nie gerochen hast. Eine Wunderblume.«
»Ich handle mit Gewürzen«, sagte Amar steif und steckte die Revolver unter
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