Der Gefangene der Wüste
und gingen hinüber zu einem kleinen Steilwandzelt, vor dem ein Posten stand. Im Lager wurde es jetzt betriebsam. Die ›Pilger‹ krochen aus den Zelten und wuschen sich in langen Trögen. Meistens waren es Frauen. Mit bloßem Oberkörper standen sie da und bespritzten sich mit Wasser. Ein Gewoge von Brüsten. Kreischen und Lachen. Serrat blieb wie angewurzelt stehen.
»Sie lachen ja noch«, stammelte er. Jussuf sah ihn maßlos erstaunt an.
»Warum nicht?«
»Als Sklaven?!«
»Wird es besser, wenn sie heulen? Lachen fördert die Schönheit, und Schönheit hat ihren Preis. Jede ist froh, einen guten Herrn zu bekommen, und Schönheit ist immer ein Kapital … auch für sie. Also sind sie fröhlich.«
»Das ist teuflisch.« Serrat spürte, wie ihm der Schweiß auf die Stirn trat. Kalter Schweiß. Er zögerte, in das kleine Zelt zu gehen, als Jussuf den Eingang offenhielt. Aber dann trat er ein.
Saada lag auf einem Teppichlager, an Händen und Füßen gefesselt. Sie zuckte hoch, als sie Serrat erkannte, und schrie sofort.
»Hilfe, monsieur! Hilfe! Was machen sie mit mir? Sie haben mich aus dem Auto geholt, hierhin geschleppt und gefesselt! Befreien Sie mich! Wo sind wir denn? Ich habe ihnen gesagt, daß ich die Tochter des Scheichs Ali ben Achmed bin. Sie haben mich ausgelacht. Was ist das alles?«
Serrat schluckte und würgte an den Worten: »Ich kann dir nicht mehr helfen, Wüstenkätzchen«, sagte er. »Es … es ist … verdammt, Monsieur Jussuf wird für dich sorgen. Ich kann es nicht mehr … Ich … ich … mach's gut, Saada –«
»Monsieur Pierre! Helfen Sie mir doch!« Sie bäumte sich auf, und plötzlich schrie sie hell und erschütternd, kroch auf den Knien über den Felsenboden auf Serrat zu und hob die gefesselten Hände. »Warum helfen Sie mir nicht? Wo bin ich denn? Sie … Sie sind doch mein Freund –«
Serrat stöhnte auf, warf sich herum und rannte aus dem Zelt. Jussuf folgte ihm mit eiserner Miene. Draußen griff Serrat in die Tasche und holte das Geld hervor.
»Nehmen Sie es zurück, Jussuf«, sagte er tonlos. »Ich kann so etwas einfach nicht. Ich habe meine Schuftigkeit überschätzt.«
»Bedauere.« Jussuf hob die Hände wie ein Bankbeamter, der einen faulen Scheck annehmen soll. »Ich mache kein Geschäft rückgängig. In meiner Branche ist so etwas nicht üblich.«
»In Ihrer Branche!« brüllte Serrat. Er ballte die Fäuste und fuhr auf Jussuf zu. Der wich elegant aus, winkte in die Gegend, und hinter den Zelten kamen sechs Araber mit angelegten Gewehren hervor. »Geben Sie Saada wieder heraus.«
»Nein!« antwortete Jussuf knapp.
»Gut denn!« schrie Serrat. Der Schweiß lief ihm in ätzenden Bächen über das Gesicht. »Ich kaufe sie Ihnen ab. Für acht haben Sie sie mir abgekauft … ich biete Ihnen jetzt zehn!«
»Sie Idiot«, sagte Jussuf völlig ruhig. »Ich gebe sie nicht her unter zwanzigtausend …«
»Zwanzigtausend?!« Serrat riß den Mund auf. Ein dumpfes Stöhnen begleitete diese Erschütterung. »O Sie Satan! Sie Ausgeburt der Hölle! Ich bringe Sie um –«
»Guten Tag, monsieur.« Jussuf verbeugte sich knapp, wie es einem Geschäftspartner zukommt, und entfernte sich langsam und mit eleganten Schritten. Um Serrat aber bildete sich ein Ring Araber, die ihn mit den Gewehrläufen vom Zelt wegstießen zu seinem Wagen.
»Hilfe!« hörte er Saada schreien. »Hilfe! Serrat … Serrat … helfen Sie mir! Bitte – bitte – bitte – Vater Serrat –«
Das war der Augenblick, wo Serrat aufbrüllte wie ein tödlich getroffener Stier. Er preßte die Hände gegen die Ohren, rannte zu seinem Wagen, warf sich hinein, gab Gas und raste aus dem Felsental hinaus.
Aber das ›Vater Serrat‹ blieb in seinen Ohren, fraß sich in sein Herz, bohrte sich in seine Knochen. Vater Serrat … Vater … Es war ein Wort, das man ihm vor Jahren gemordet hatte.
Vater –
Serrat raste auf der Straße nach El-Oued zurück. Er benahm sich wie ein Irrer. Eine ganze Strecke lang heulte er vor sich hin wie ein Schakal.
Drei Tage später stiftete er für das Waisenhaus von Algier achttausend Francs. Die Schwester, die das Geld in Empfang nahm, umarmte ihn und nannte ihn einen guten, von Gott gesegneten Menschen.
Cathérine Petit machte ihren Plan wahr … sie nahm sich einen Jeep vom Camp, das Fahrzeug des Kochs, und fuhr zur Oase Bou Akbir. Allein, die Pistole umgeschnallt, einen verbeulten, weißen Hut auf dem Kopf, in einem Anzug aus verblichenem Khaki, an den Füßen halbhohe
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