Der Gefangene der Wüste
Schwierigkeiten rechnen müssen, vielleicht sogar mit einer Lösung der Probleme durch eine Waffe.
»Wie heißt der Arzt?« fragte er. Saada lächelte ihn haßerfüllt an.
»Er wird dich finden! Ich weiß es!«
»Wie heißt er?« fragte Jussuf noch einmal.
»Ich werde nie den Namen nennen.«
»Warum sind die Menschen so dumm?« Er steckte sich eine seiner schwarzen Zigaretten an, riß die Bluse Saadas hoch und legte den Zeigefinger der anderen Hand auf eine Stelle unter ihre rechte Brust. Dann hob er die glühende Zigarette vor ihre Augen. »An dieser Stelle werde ich sie ausdrücken«, sagte er. »Es ist ein höllischer Schmerz, und eine Narbe bleibt für immer zurück. Ist ein Name so wertvoll? Bedenke … ein Körper hat viele Stellen, wo man Zigaretten ausdrücken kann. Lohnt es sich?«
Jussuf sagte es so freundlich, als führe er eine unverbindliche Unterhaltung auf der Terrasse eines Hotels. Das war das Gefährliche an ihm … er lächelte und trieb Konversation, aber was er sagte und tat, war ungeheuerlich und teuflisch.
Er wartete ein paar Augenblicke auf die Reaktion Saadas, und als sie bloß den Kopf in den Nacken warf, trotzig und mit zusammengebissenen Zähnen, hob er bedauernd die Schultern und drehte die Zigarette in seinen Fingern, bis sie zu einer glühenden Waffe wurde. Mit ihr näherte er sich der Brust Saadas, langsam, auf einen Schrei wartend, auf das Zusammenbrechen ihrer Kraft vor dem Entsetzen der Verstümmelung.
Jussuf bewunderte das Mädchen, als er die glühende Spitze der Zigarette so nahe an ihrer Haut hatte, daß sie die Glut schon spürte. Und erst da, im letzten Moment, bevor Jussuf zudrückte, sagte sie mit geschlossenen Augen:
»Dr. Bender –«
Dann sank sie in sich zusammen, heulte auf wie ein Schakal und drückte das Gesicht gegen die Autotür.
Ich habe ihn verraten … schrie es in ihr. Ich habe seinen Namen genannt aus Angst. Ja, ich habe Angst, große Angst. O Allah, vergib mir … ich habe nicht die Kraft, mich verstümmeln zu lassen … Ich habe Angst –
Jussuf rauchte seine Zigarette stumm zu Ende. Dann demonstrierte er gelassen wie alles, was er tat, seine Macht. Er klappte aus dem Armaturenbrett seines Cadillac ein kleines Funkgerät, stülpte sich die Kopfhörer über und begann mit einem irgendwo in der Weite des Landes wartenden Partner einen Funkverkehr.
»Hier Mizda …«, sagte er in das kleine Mikrofon.
»Hier Gusbat … hier Gusbat … Ich höre.«
Jussuf blickte auf Saada, während er sprach. Er betonte die Worte einzeln, damit sie klar waren und keine Rückfragen mehr erforderten.
»Hier Mizda. In der Oase Bou Akbir lebt ein deutscher Arzt. Er heißt Dr. Bender. Er ist auf Liste eins zu setzen. Wiederhole, Gusbat.«
Und die Stimme im Kopfhörer wiederholte: »Er ist auf Liste eins zu setzen …«
»Danke. Ende.«
Jussuf packte das Funkgerät wieder weg … als er es zurück in das Armaturenbrett klappte, sah es aus wie ein normales Autoradio.
Von diesem Augenblick an war Dr. Ralf Bender in den Augen Jussufs bereits ein toter Mann. Liste eins … das bedeutete die Ausrottung aller Gefahr. Das bedeutete ein Todesurteil. Bisher hatten nur vier Menschen auf Liste eins gestanden … sie waren eines Tages in der Weite des Landes verschwunden, hatten sich aufgelöst im Nichts, als seien sie nie gewesen. Die Behörden in Algier schlossen die Akten der vier Männer ein. Ungeklärte Fälle. Es war sinnlos, auf eine Antwort zu warten … Fragen sind in der Wüste wie das Warten auf eine Ernte im Sand.
»Weiter –«, sagte Jussuf zu seinem Chauffeur und winkte den hinter ihm haltenden Omnibussen zu. »Unsere Freunde warten schon.«
Dann versank er wieder in die Lautlosigkeit des Denkens, starrte in die Salzsümpfe und lauschte auf das Schluchzen Saadas hinter seinem Rücken.
Er war froh, wenn diese ›Pilgerfahrt‹ zu Ende ging. Und beneidete Ali Hadschar nicht, wenn er wirklich Saada kaufte. Für zwanzigtausend Francs nahm er sich einen Teufel ins Haus … und Jussuf gönnte es ihm, denn Hadschar war ein Mensch, der es verdient hätte, in siedendem Fett zu rösten.
Eine Stunde später tauchte auf der flachen Scheibe der Salzwüste am Horizont die Wagenburg der Käufer auf. Jussuf hupte, und die Signalhörner der Omnibusse stimmten ein. Es war ein fröhliches Hupen, als träfe sich eine lustige Reisegesellschaft. Die Frauen in den Bussen drückten die Gesichter an die salzigen Scheiben und sahen kichernd hinaus auf die näherkommenden Autos.
Die
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