Der Gefangene der Wüste
»sondern Pflege des Kapitals. Und noch etwas will ich dir zeigen, Saada.« Er öffnete das Fenster, ließ sich einen Stein geben und schleuderte ihn vielleicht sieben Meter weit weg. Dort fiel er auf einen schwappenden Boden und versank langsam. »Salzsumpf, Saada«, erklärte er nüchtern. »Ein Mensch versinkt dort unweigerlich. Wenn es sein muß, werfe ich auch ein Kapital weg.«
Saada nickte. Ihre Kehle war so eng, daß jeder Atemzug schmerzte. Jussuf winkte aus dem Fenster.
»Los! Wir haben Zeit verloren –«
Die Salzwüste Schott Djerid verschluckte die kleine Karawane wie ein urweltliches Ungeheuer.
Jussuf Ben Rahman war bester Laune.
Der neue ›Pilgerzug‹ schien das Geschäft der Saison zu werden. 210 meist junge Frauen aus den ärmsten Gegenden der südlichen Sahara, der Kabylei und den schroffen, von der Sonne ausgedörrten Südhängen des Atlasgebirges bedeuteten ein gutes Konto. Viele der ›Pilgerinnen‹ waren freiwillig mitgekommen, mit einem Arbeitsvertrag, der ihnen mehr versprach, als was sie je in ihrem Leben in den schmutzigen, hitzedurchglühten Dörfern erwarten konnten: ein sauberes Zimmer, geregelte Arbeitszeit, reellen Verdienst in guten Francs, gute Behandlung bei Befolgen aller Anordnungen, ärztliche Betreuung. Was verlangte man mehr vom Leben? Die Verträge hatten nur einen Haken: Sie lauteten auf fünf oder sogar zehn Jahre. Einige waren sogar unbefristet … das waren die Verträge der schönsten jungen Frauen, die eine Menge kosteten und die den investierten Betrag in einer abgegrenzten Zeit nicht wieder hereinbringen konnten.
Aber was bedeutete Zeit in Afrika? Was waren Jahre? Zeit … man hatte sie so viel wie Sand in der Wüste. Die Zukunft in den kleinen Oasen der Sahara war kein Geheimnis Allahs … man konnte sie sich ausrechnen am Leben der vorherigen Generation. Es war ein erbärmliches Leben. Wie herrlich schien dagegen die Zukunft in den fernen großen Städten oder in den weißen Häusern der reichen Herren, die Jussufs Agenten den Mädchen versprachen. Das war ein Paradies, und wenn man es erreichen konnte, indem man sich verkaufte … warum sollte man es nicht.
Nur wenige Frauen ahnten, in was sie sich da eingelassen hatten. Nur ein paar Mädchen waren – wie Saada – ohne ihren Willen in der ›Pilgerkarawane‹ Jussufs. Sie waren von ihren Eltern verkauft worden, oder man hatte sie, nachdem Jussufs Agenten die Schönheiten genau betrachtet und abgeschätzt hatten, einfach auf offener Straße geraubt. Das ging schnell und schmerzlos mit Hilfe eines Wattebausches voll Chloroform … wachten die Mädchen später auf, lagen sie hinten in den breiten amerikanischen Wagen der Händler wie zusammengebundene Hühner.
Mit diesen Mädchen und Frauen hatte Jussuf einige Sorgen. Aber er bezwang diesen Widerstand auf seine im wahrsten Sinne durchschlagende Art: Er ließ – wie in el Matmahira – drei Frauen zu Tode peitschen, und von da an war Ruhe in allen Omnibussen.
Nun fuhren sie ungefähr zwei Stunden durch den Salzsumpf von Djerid, ganz langsam, sich über die schmale feste Piste tastend, neben sich den unbarmherzigen salzigen Tod, denn ein Wagen, der hier abglitt, versank in dem breiigen Boden ohne Aussicht auf Rettung. Jussuf fuhr mit seinem weißen Cadillac voran … nur er kannte diesen Pfad durch die Hölle. Von der anderen Seite des Schott Djerid aus, von der kleinen Oase Kebili, war es einfacher. Hier gab es einen Weg durch die festere Salzwüste bis an den Rand des Sumpfes … aber kaum jemand benutzte ihn, denn wen treibt es freiwillig in ein Stück Erde, das selbst die Geier meiden? Und das will etwas heißen in Afrika!
Und doch bewegten sich an diesem Tage vierzehn Wagen von Kebili in die Salzöde hinein. Schweigsame, gut angezogene Herren in leuchtendweißen Dschellabahs oder europäischen Maßanzügen saßen am Steuer, rauchten während des langsamen Fahrens ihre schwarzen Zigaretten und blinzelten unter den fast schwarzen Sonnenbrillen in die schreckliche flimmernde Wildnis. Am Rande der Sümpfe hielten sie an, fuhren zusammen, als wollten sie eine Wagenburg bilden, und stiegen aus.
»Es ist noch Zeit, Freunde«, sagte einer von ihnen und blickte auf eine goldene Schweizer Uhr. »Jussuf muß noch mitten im Sumpf stecken … es ist mir unbegreiflich, wie er überhaupt durchkommt.«
»Wer den Teufel so zum Freund hat wie er … wundert es dich dann auch noch?«
Die vornehmen Herren holten aus ihren Wagen einige dicke Teppiche, legten sie auf
Weitere Kostenlose Bücher