Der gefangene Stern
knallroten Futternapf, seine schillernden Flügel schlugen so schnell, dass sie vor M.J.s Augen verschwammen. Als sie sich ihm näherten, schoss er davon wie eine Gewehrkugel. Auf dem Rundgang ums Haus konnte Jack kein zerbrochenes Fenster oder sonst einen Hinweis auf gewaltsames Eindringen entdecken. Sie kamen an einem Kräutergarten vorbei, der herrlich nach Rosmarin und Minze duftete. Ein Windspiel aus Kupfer hing unbewegt neben der Tür. Kein Blatt regte sich.
„Gruselig.“ M.J. rieb sich über die Arme. „Hier so herumzuschleichen.“
„Lass es uns trotzdem noch eine Weile tun.“
Zuletzt erreichten sie die kleine Terrasse mit einem Glastisch, einem Liegestuhl und noch mehr Blumen in Tontöpfen und Betontrögen. Direkt dahinter lag ein kleiner Teich, umgeben von frisch gesätem Rasen.
„Der ist neu“, erklärte M.J. „Den hatte sie damals noch nicht, aber sie hat davon gesprochen.“
„Ich würde sagen, deine Freundin hat hier ganz schön geackert. Oder glaubst du, es gibt noch irgendeine Blume oder Pflanze auf der Welt, die sie nicht hat?“
„Vermutlich nicht.“ Ihr Lächeln war zittrig. „Ich will jetzt reingehen, Jack. Ich muss einfach reingehen.“
„Mal sehen.“ Er stieg die Verandatreppe hinauf und stellte fest, dass die Haustür verschlossen war. „Hat sie ein Versteck für den Schlüssel?“
„Nein.“ Trotz der Hitze fröstelte M.J. Es ist viel zu still, dachte sie immer wieder, viel zu still. „Sie hatte mal einen Schlüssel für ihr Haus in Potomac in einem Blumentopf versteckt. Aber den hat dann ihre Cousine Melissa gefunden und es sich gemütlich gemacht, als Grace in Mailand war. Sie war echt sauer, als sie zurückkam.“
Jack beugte sich vor, um die Schlösser zu überprüfen. „Die sind ziemlich gut. Es wäre einfacher, ein Fenster einzuschlagen.“
„Das wirst du nicht tun.“
Seufzend richtete er sich wieder auf. „Ich habe befürchtet, dass du das sagen würdest. Gut, dann machen wir es uns eben nicht leicht.“
Während sie noch die Stirn runzelte, ging er schon zurück zum Wagen und öffnete den Kofferraum, der mit Werkzeug, Klamotten, Büchern, Wasserflaschen und Unterlagen vollgestopft war. Eine Weile wühlte er darin herum.
„Hat sie eine Alarmanlage?“
„Nein. Jedenfalls nicht, dass ich wüsste.“ M.J. musterte die Ledertasche in seiner Hand. „Was hast du vor?“
„Die Schlösser zu knacken. Es könnte allerdings eine Weile dauern, ich bin nicht mehr ganz so im Training.“ Erwartungsvoll rieb er sich die Hände. „Du könntest die anderen Türen und Fenster überprüfen, nur für den Fall, dass doch irgendetwas offen steht.“
„Wenn sie eine Tür abgeschlossen hat, dann hat sie alles abgeschlossen. Aber gut.“ Gehorsam lief sie noch einmal ums Haus, blieb vor jedem Fenster stehen, rüttelte daran und spähte hinein. Als sie zurückkam, beschäftigte Jack sich gerade mit dem zweiten Schloss.
Fasziniert beobachtete sie seine geschickten Bewegungen. Hier war es kühler als in der Stadt, aber immer noch sehr heiß.
„Kannst du mir das beibringen?“, fragte sie.
„Psst! Ich hab’s.“ Er fuhr sich mit dem Ärmel über die verschwitzte Stirn. „Kalte Dusche“, murmelte er. „Kaltes Bier. Ich küsse deiner Freundin die Füße, falls sie beides hat.“
„Grace trinkt kein Bier.“ M.J. drückte bereits die Tür auf.
Das Wohnzimmer mit dem gestreiften Sofa und den tiefblauen Sesseln war ordentlich aufgeräumt. Im Kamin stand ein antiker kupferner Spucknapf mit einem üppig grünen Farn darin.
In Windeseile lief M.J. durch das Erdgeschoss in die sonnendurchflutete Küche, dann in die Bibliothek. Ihre Schritte hallten laut auf den blanken Holzböden. Sie rannte die Treppe hinauf. Graces schimmerndes Messingbett war akkurat gemacht, auf der handgeklöppelten Spitzendecke, die sie in Irland erstanden hatte, lagen bunte Kissen verstreut. Auf dem Nachttisch entdeckte M.J. ein Buch über Gartenarbeit.
Das Badezimmer war leer, das Waschbecken sauber geschrubbt, die Handtücher sorgsam in einem Regal gestapelt. Obwohl sie wusste, dass es sinnlos war, durchsuchte sie den Kleiderschrank im Schlafzimmer – prall gefüllt und perfekt geordnet.
„Sie sind nicht hier, M.J.“ Liebevoll berührte Jack ihre Schulter, aber sie wich zurück.
„Das sehe ich selbst“, zischte sie. „Aber Grace war hier – und zwar vor Kurzem. Ich kann sie noch riechen.“ Sie schloss die Augen und atmete tief ein. „Ihr Parfüm. Irgend so ein stinkreicher
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