Der Gefangene von Zhamanak
nachahmte.
Am darauf folgenden Tag schlug Mjipa die Zeit tot, indem er Alicia zu einer Wiederaufführung von Harians Ahnen in khaldonischer Sprache ausführte. Zur Auswahl hatte er ihr eine Dichterlesung von Shetsin, einem einheimischen Barden, ein Konzert der Hofkapelle und besagtes Stück gestellt. Alle drei Kulturereignisse waren auf dem Bekanntmachungsbrett auf dem Hauptplatz angekündigt. Sie entschied sich für das Theaterstück.
Die Handlung drehte sich um ein junges Aristokratenpaar, aus dessen erstem Ei ein Baby mit einem Schwanz schlüpfte. Die Frage war nun: Welche Linie, ihre oder seine, trug den Makel eines geschweiften Ahnen? Einen von der geschwänzten Krishnanerrasse im Familienstammbaum zu haben, wurde nämlich als schlimmer Schandfleck betrachtet.
»Ich dachte immer«, flüsterte Mjipa, »die geschwänzte und die schwanzlose Spezies könnten miteinander keine Nachkommen zeugen.«
»Das stimmt nicht ganz«, flüsterte Alicia zurück. »Sie können sehr wohl, aber die Nachkommen sind meistens unfruchtbar. Aber nicht unbedingt alle.«
Am Schluss stellte sich heraus, dass die beiden Unglückseligen entfernte Vettern waren und dass ihr gemeinsamer Urahn ein Geschwänzter war. Als sie sich gerade anschickten, gemeinsam aus dem Leben zu scheiden, um die Schande zu tilgen, tauchte, einem Deus ex machina gleich, ein Bote aus dem fernen Günesh auf und lud sie in sein Land ein. Dort, so versicherte er ihnen, sei ihr ›Tropfen geschwänzten Blutes‹ kein Makel, aus dem ihnen ein Nachteil erwüchse.
»Zumindest«, murmelte Alicia, »ist es saubere Genetik, vorausgesetzt, der Schwanz ist eine Mendelsche Rezessive.«
Später, als die Besuchszeit sich dem Ende näherte, stattete Mjipa Isayin noch einen Besuch in seiner Zelle ab, um ihn von seinen Plänen zu unterrichten.
»Oh!« sagte Isayin. »Ihr plant, mich in drei Tagen zu befreien? Leider wird das zu spät sein.«
»Wieso?«
»Übermorgen, so heißt es, soll ich in den Verhörraum im Palast gebracht werden. Ihr könnt Euch sicher denken, was das bedeutet. Sie werden versuchen, mir mit Mitteln, die um keinen Deut sanfter sind als die des Riesen Damghan in der Legende, die Namen von anderen Ketzern zu entringen. Sie trachten nämlich danach, eine angeblich gewaltige Verschwörung von Rundweltlern gegen die gottgewollte Herrschaft Seiner Heiligen Kolossalität zu zerschmettern. Ob der verschiedene Khostavorn Haupt einer solchen Kabale war, vermag ich nicht zu sagen, da ich dem Schurken niemals begegnet bin.«
Mjipa überlegte. Schließlich sagte er: »Dann muss ich Euch eben schon morgen befreien. Ich habe überlegt, wo ich Euch bis zum Auslaufen des Schiffes verstecken könnte; doch nun glaube ich einen sicheren Ort gefunden zu haben. Traut Ihr Euch zu, die Rolle eines … eh … lasst mich nachdenken … sagen wir, eines Zhamanakianers zu spielen?«
»Ich könnte mein Haupthaar abrasieren, ihre Art der Körperbemalung annehmen und eine recht naturgetreue Nachahmung ihres Dialekts sprechen.«
»Dann stellt Euch auf diese Rolle ein. So Phaighost will, werde ich morgen nach der Stunde des Mittagsmahles wiederkommen.«
Zum Souper führte Mjipa Alicia in eine kalwmianische Nachtbar. Dort lauschten sie den Bemühungen eines Trios, dessen Instrumente einem Dudelsack, einer Balalaika und einem Xylophon ähnelten. Dazu gab eine Krishnanerin wehklagende Laute zum besten, die entfernt an das Gejaule eines Muezzin erinnerten.
Während er mit einer Portion lebender Spaghetti kämpfte (es handelte sich dabei um essbare Würmer, die sich auch nach dem Kochprozeß munter weiterringelten und -kringelten), blickte er über den Tisch auf seine Begleiterin, die damit beschäftigt war, Notizen auf einen Block zu kritzeln. »Lish!« rief er kopfschüttelnd. »Kannst du nicht einmal deine Datensammelei wenigstens für eine Stunde unterbrechen und einfach mal das Leben genießen?«
»Du verstehst das nicht. Du weißt doch, wie es in Majbur und anderen Städten ist, die näher bei Novorecife liegen. Du versuchst, einheimische, unverfälschte Folklore zu studieren, und alles, was du geboten kriegst, sind mehr oder weniger verunglückte Versionen von Guadalajara und Yesterday und der Lorelei a la krishnaise. Terranische Kunst und Mode sind mehr und mehr in. Wenn du also noch was echt Krishnanisches hören willst, dann musst du schon weit rausfahren in solche wilden Regionen wie diese hier. Deshalb will ich es festhalten, bevor es genauso verschwindet, wie die
Weitere Kostenlose Bücher