Der Gefangene
menschlichen Haar etwa fünfundzwanzig Unterscheidungsmerkmale, und ein guter Sachverständiger wird den Geschworenen genau zeigen, worüber er da eigentlich redet.
Hett tat nichts dergleichen. Nachdem er fast fünf Jahre am Fall Carter gearbeitet, Hunderte Stunden dafür aufgewendet und drei unterschiedliche Gutachten verfasst hatte, zeigte er den Geschworenen kein einziges vergrößertes Foto seiner Arbeit. Kein einziges von Ron Williamson stammendes Haar wurde mit den in Debbies Wohnung gefundenen Haaren verglichen.
Im Grunde genommen sagte er den Geschworenen lediglich, dass sie ihm vertrauen sollten. Sie sollten nicht nach Beweisen fragen, sondern seinem Gutachten einfach glauben.
Die logische Schlussfolgerung aus Hetts Zeugenaussage bestand darin, dass vier der in Debbie Carters Wohnung gefundenen Haare von Ron Williamson stammten. Und das war der einzige Grund, weshalb Hett in den Zeugenstand gerufen worden war. Hetts Anwesenheit und seine Aussage bewiesen wieder einmal, wie illusorisch es war, einen fairen Prozess für einen mittellosen Angeklagten zu erwarten, wenn man ihm nicht auch Zugang zu forensischen Sachverständigen verschaffte. Barney hatte schon vor Monaten um einen Gutachter gebeten, doch Richter Jones hatte seinen Antrag abgelehnt.
Richter Jones hätte es besser wissen müssen. Drei Jahre vorher war ein wichtiger Fall aus Oklahoma vor dem U. S. Supreme Court gelandet, und die Entscheidung dazu schreckte die Strafgerichte des Landes auf. In Ake gegen Oklahoma entschied das Gericht: »Wenn ein Bundesstaat bei einem Strafprozess seine Justizgewalt einem mittellosen Angeklagten gegenüber ausübt, so hat er Sorge dafür zu tragen, dass dem Angeklagten angemessen Gelegenheit gegeben wird, seinen Fall darzulegen ... Der Gerechtigkeit kann nicht Genüge getan werden, wenn einem Angeklagten lediglich als Folge seiner Mittellosigkeit die Gelegenheit verwehrt wird, aktiv an einem Gerichtsverfahren teilzunehmen, bei dem es um seine Freiheit geht.«
Die Entscheidung im Fall Ake schreibt vor, dass der jeweilige Bundesstaat einem mittellosen Angeklagten die grundlegenden Instrumente für dessen angemessene Verteidigung zur Verfügung stellen muss. Von Richter Jones wurde diese Vorschrift sowohl im Prozess gegen Fritz als auch im Prozess gegen Williamson ignoriert.
Forensische Beweise waren ein entscheidender Bestandteil der Anklage. Jerry Peters, Larry Mullins, Mary Long, Susan Land und Melvin Hett waren alle Experten auf ihrem Gebiet. Ron blieb nur Barney, der zwar ein kompetenter Anwalt mit langjähriger Erfahrung im Gerichtssaal war, die Beweise aber leider nicht sehen konnte. Mit Melvin Hett hatte die Anklage ihre Beweisführung abgeschlossen. Bei Prozessbeginn hatte Barney auf sein Eröffnungsplädoyer verzichtet, das er am Anfang seiner Einlassungen nachholen wollte. Es war ein riskantes Manöver. Die meisten Strafverteidiger können es gar nicht erwarten, die Geschworenen schon sehr früh im Prozess anzusprechen, um Zweifel hinsichtlich der Beweise der Anklage zu säen. Das Eröffnungsplädoyer und das Schlussplädoyer sind die einzigen Prozessphasen, in denen sich ein Anwalt direkt an die Geschworenen wenden kann, und Strafverteidiger vor Gericht lassen sich diese Gelegenheit nur selten entgehen.
Nachdem die Anklage ihre Beweisführung abgeschlossen hatte, überraschte Barney alle ein zweites Mal, indem er auf sein Eröffnungsplädoyer verzichtete. Er nannte keinen Grund dafür - es musste auch keiner angegeben werden -, aber es war eine sehr ungewöhnliche Taktik.
Barney rief sieben achtbare Wärter aus dem Gefängnis in den Zeugenstand. Alle bestritten, jemals gehört zu haben, dass Ron Williamson sich im Mord an Debbie Carter auch nur im Geringsten selbst belastete.
Wayne Joplin war Leiter der Geschäftsstelle des Gerichts von Pontotoc County. Barney rief ihn als Zeugen auf, damit er Auskunft zu den am Gericht vorhandenen Unterlagen über Terri Holland gab. Sie war im Oktober 1984 in New Mexico verhaftet und nach Ada zurückgebracht worden, wo sie im Gefängnis landete und prompt mithalf, zwei aufsehenerregende Mordfälle zu lösen, obwohl sie zwei Jahre wartete, um die Polizei über Rons dramatisches Geständnis zu informieren. Sie bekannte sich zu der Anklage wegen Scheckbetrugs schuldig, bekam eine Haftstrafe von fünf Jahren, von der drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurden, und musste einiges zahlen: 70 Dollar Verfahrenskosten, 527,09 Dollar Rückerstattung des entstandenen
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