Der Gefangene
Gericht in Aktion war.
Es lag auf der Hand, dass er sich nach den Freisprüchen nicht recht wohl in seiner Haut fühlte. Daran wollte er ganz Ada teilhaben lassen. Sein Einsatz für Ron und Dennis werde überhaupt nicht gewürdigt, fand er. Der von Ann Kelley verfasste, langatmige Artikel war im Grunde ein peinlicher Gefühlsausbruch eines Staatsanwalts, der sang- und klanglos untergegangen war und sich von Journalisten hätte fernhalten sollen. Er begann folgendermaßen:
Nach Aussage von Bill Peterson, dem Bezirksstaatsanwalt von Pontotoc County, geben die Verteidiger von Dennis Fritz und Ron Williamson die DNATests, die ihren Mandanten die Freiheit verschafft haben, zu Unrecht als ihre Idee aus.
Peterson ließ sich von Ann Kelley zu Äußerungen verführen, mit denen er sich selbst ins Abseits stellte. In allen Einzelheiten schilderte er die DNA-Tests im Fall Carter. Bei jeder Gelegenheit holte er zu billigen Seitenhieben gegen Mark Barrett und Barry Scheck aus, ließ aber keine Gelegenheit aus, sich selbst zu loben. Die DNA-Tests waren seine Idee gewesen!
Dabei erwähnte er nicht einmal die Tatsache, dass er Ron und Dennis mit den DNA-Tests ein für alle Mal hatte überführen wollen. Er war so überzeugt von ihrer Schuld gewesen, dass er sich bereitwillig auf die Tests eingelassen hatte. Jetzt, wo der Schuss nach hinten losgegangen war, wollte er auch noch für seine Fairness gepriesen werden.
Die kindischen Schuldzuweisungen zogen sich über ganze Absätze hin. Peterson ließ vage, düstere Andeutungen über andere Verdächtige und neu zu erhebendes Beweismaterial fallen. Das las sich so:
Er (Peterson) sagte, für den Fall, dass sich neue Beweise für eine Verbindung von Fritz und Williamson zum CarterMord ergäben, gelte das Verbot der doppelten Strafverfolgung eines Täters wegen derselben Tat nicht, und beide könnten erneut vor Gericht gestellt werden.
Der Artikel endete mit zwei unerträglichen Zitaten. Peterson sagte zum einen: Ich habe im Jahre 1988 richtig gehandelt, als ich die beiden vor Gericht stellte. Mit meiner Empfehlung, die Anklage gegen sie nun fallen zu lassen, habe ich getan, was angesichts des mir heute vorliegenden Beweismaterials rechtlich, moralisch und ethisch richtig war.
Allerdings erwähnte er nicht, dass diese den höchsten ethischen und moralischen Ansprüchen genügende Entscheidung fast fünf Jahre kam, nachdem Ron beinahe hingerichtet worden wäre, und vier Jahre, nachdem Peterson Richter Seay öffentlich kritisiert hatte, weil dieser die Wiederaufnahme des Verfahrens angeordnet hatte. Indem er sich in letzter Minute als Ethikapostel präsentierte, hatte Peterson höchstens dazu beigetragen, dass Ron und Dennis »nur« zwölf Jahre und nicht noch länger unschuldig im Gefängnis saßen.
Am übelsten war seine letzte Äußerung, die hervorgehoben und in der Mitte der Seite platziert worden war. Peterson sagte:
Ich habe bei Williamson und Fritz nie von Unschuld gesprochen. Dies alles beweist ihre Unschuld nicht. Es heißt nur, dass ich sie mit dem mir gegenwärtig zur Verfügung stehenden Beweismaterial nicht anklagen kann.
Nach nur vier Tagen in Freiheit hatten sich Ron und Dennis emotional noch längst nicht stabilisiert. Der Artikel versetzte sie in Panik. Warum wollte Peterson sie erneut vor Gericht zerren? Er hatte einmal dafür gesorgt, dass sie verurteilt wurden. Sie hegten keinen Zweifel daran, dass er es wieder tun konnte.
Neue Beweise, alte Beweise, keine Beweise - völlig egal. Sie hatten zwölf Jahre hinter Gittern verbracht, obwohl sie niemanden getötet hatten. In Pontotoc County zählten Beweise nicht viel.
Der Artikel trieb Mark Barrett und Barry Scheck auf die Palme. Beide verfassten lange Gegendarstellungen, die sie an die Zeitung schicken wollten. Aber sie waren so klug, damit zu warten. Nach ein paar Tagen merkten sie, dass kaum jemand Peterson beachtete.
Am Sonntagnachmittag fuhren Ron, Dennis und ihre Helfer-Entourage nach Norman. Mark Barrett hatte darum gebeten. Amnesty International veranstaltete dort wie jedes Jahr ein Open-Air-Rockkonzert, um Spenden zu sammeln.
Das Freilufttheater, in dem es stattfinden sollte, war gut besucht. Es war ein warmer, sonniger Tag.
Zwischen zwei Songs hielt Mark Barrett eine Rede, bei der er Ron, Dennis, Greg und Tim Durham vorstellte. Jeder von ihnen sprach ein paar Minuten lang über seine Erfahrungen. Sie waren alle nervös, weil sie nicht daran gewöhnt waren, vor Publikum aufzutreten, aber sie fanden
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