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Der Gefangene

Titel: Der Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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Mark Barrett wurde gefragt, wie es überhaupt zu dieser Verurteilung hatte kommen können. Er holte zu einer ausführlichen Schilderung der Fehler aus, die der Staatsanwaltschaft unterlaufen waren: fünf Jahre Verzögerung, nachlässige Polizeiarbeit, Spitzel und Denunzianten, pseudowissenschaftliche Scharlatanerie. Die meisten Fragen richteten sich an die beiden soeben rehabilitierten Männer. Dennis sagte, er wolle Oklahoma verlassen und nach Kansas City zurückkehren. Vor allem wolle er so viel Zeit wie möglich mit Elizabeth verbringen. Wenn es so weit sei, werde er sich schon überlegen, wie er den Rest seines Lebens verbringen wolle. Ron hatte keine konkreten Pläne, abgesehen davon, dass er aus Ada wegwollte.
    Der Gruppe hatten sich Greg Wilhoit und Tim Durham angeschlossen. Durham war aus Tulsa und hatte vier Jahre lang für eine Vergewaltigung gesessen, die er nicht begangen hatte, bevor ihm die DNA-Tests des Innocence Project zur Freiheit verhalfen. Am Bundesgericht in Muskogee verliehen Jim Payne, Vicky Hildebrand und Gail Seward in aller Stille ihrer tiefen Befriedigung Ausdruck. Es gab keine Feier - immerhin lag der Williamson-Fall für sie mittlerweile vier Jahre zurück, und sie steckten bis über die Ohren in Arbeit. Trotzdem legten sie eine kurze Pause ein, um diesen Augenblick zu genießen. Lange bevor die DNA-Tests für absolute Klarheit sorgten, hatten sie auf die altmodische Art, mit harter Arbeit und klugem Verstand, die Wahrheit gefunden und so einem Unschuldigen das Leben gerettet.
    Auch Richter Seay sonnte sich nicht in seinem Ruhm. Er freute sich über diese Bestätigung, war aber viel zu beschäftigt mit anderen Dingen. Er hatte seine Arbeit getan, das war alles. Im Gegensatz zu den Richtern vor ihm, die Ron Williamson im Stich gelassen hatten, kannte Frank Seay das System und dessen Schwächen. Die Wahrheit war oft schwer zu finden, aber er war bereit, danach zu suchen, und wusste, wo er Ausschau halten musste.
    Mark Barrett hatte Annette gebeten, einen Raum für die Pressekonferenz und vielleicht für einen kleinen Empfang im Anschluss daran zu finden. Einen netten Saal, um Ron und Dennis willkommen zu heißen. Sie dachte sofort an den Gemeindesaal ihrer Kirche. Immerhin war es die Gemeinde, in der Ronnie aufgewachsen war und in der sie selbst seit vierzig Jahren Klavier und Orgel spielte.
    Am Tag zuvor hatte sie ihren Pastor angerufen, um seine Erlaubnis einzuholen und die Einzelheiten zu besprechen. Er zögerte, stotterte ein wenig und sagte schließlich, er müsse den Kirchenrat fragen. Annette vermutete Ärger und machte sich auf den Weg zur Kirche. Als sie dort eintraf, erklärte ihr der Pastor, er habe die Mitglieder des Kirchenrats konsultiert, und sie seien, wie er selbst, der Meinung, die Kirche sei für eine solche Veranstaltung nicht der richtige Ort. Annette war schockiert und fragte nach dem Grund.
    Weil es Ärger geben könne, erklärte er. Es solle bereits Drohungen gegen Ron und Dennis gegeben haben. Was, wenn die Dinge außer Kontrolle gerieten? Die Stadt war in Aufruhr, und die meisten Leute waren sehr unzufrieden damit, dass die beiden Männer auf freiem Fuß waren. Die Familie Carter zählte ein paar harte Burschen zu ihren Mitgliedern. Es ging einfach nicht.
    »Aber die Gemeinde betet doch seit zwölf Jahren für Ronnie«, erinnerte sie ihn.
    Ja, und das werde sie auch weiterhin tun, sagte er. Aber viele Menschen hielten ihn immer noch für schuldig. Es sei zu problematisch. Der Ruf der Kirche könne befleckt werden. Die Antwort sei Nein.
    Empört verließ Annette sein Büro. Er versuchte, sie zu trösten, aber sie wollte nichts davon hören.
    Danach rief sie Renee an. Minuten später war Gary Simmons unterwegs nach Ada, das immerhin drei Stunden von ihrem Haus in Dallas entfernt lag. Er fuhr direkt zur Kirche und stellte den Pastor zur Rede, doch der ließ sich nicht erweichen. Sie stritten sich lange, aber ergebnislos. Die Gemeinde blieb bei ihrer Meinung: Es war zu riskant. »Ron wird Sonntagvormittag hier sein«, sagte Gary. »Werden Sie ihn begrüßen?«
    »Nein«, sagte der Pastor.
    Die Feier wurde in Annettes Haus mit einem Abendessen fortgesetzt. Freunde kamen und gingen. Nach dem Abspülen versammelten sich alle im Wintergarten, wo spontan Gospels angestimmt wurden. Barry Scheck, ein New Yorker Jude, erlebte so etwas zum ersten Mal in seinem Leben, aber er versuchte tapfer mitzusingen. Mark Barrett war auch dabei. Für ihn war es ein wichtiger, bewegender

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