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Der Gefangene

Titel: Der Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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geschieden. Nicht weiter überrascht stellten sie fest, dass sie sich ihre Lust aufs Nachtleben bewahrt hatten.
    Sie waren junge, gut aussehende Singles, die für harte Arbeit ausreichend Geld bekamen, und machten sich sofort auf in die Bars, um nach Frauen zu suchen. Ron hatte die Frauen schon immer geliebt, aber ein paar Spielzeiten in den Minor Leagues hatten einen regelrechten Schürzenjäger aus ihm gemacht.
    Bruce lebte in Ada, doch wann immer er durch Tulsa kam, hatte er genug Zeit, um eine Nacht mit Ron und dessen Freunden durchzufeiern.
    Obwohl der Sport beiden schwere Enttäuschungen beschert hatte, war Baseball immer noch das Thema Nummer eins - die ruhmreichen Tage in Asher, Coach Bowen, der Traum, den sie einst geteilt hatten, die alten Mannschaftskameraden, die es auch versucht hatten und denen es nicht besser ergangen war. Bruce hatte es geschafft, einen Schlussstrich zu ziehen, was ihm wegen der Knieprobleme einigermaßen leicht gefallen sein musste. Zumindest träumte er nicht mehr von den Major Leagues. Bei Ron war das anders. Er war immer noch davon überzeugt, dass sich eines Tages etwas ändern würde - seine Schulterverletzung würde auf mysteriöse Weise verschwinden, irgendjemand würde anrufen, sein Leben wieder in Ordnung kommen. Zunächst zuckte Bruce nur die Achseln; er sah diese Illusionen als Nachwirkung verblassenden Ruhmes. Er hatte am eigenen Leib erfahren, dass kein Stern schneller sinkt als der eines Highschool-Sportlers. Einige können damit umgehen, akzeptieren die Tatsachen, ändern ihr Leben. Andere träumen jahrzehntelang weiter.
    Rons Glaube daran, wieder spielen zu können, glich fast einer Wahnvorstellung, und der Gedanke an sein Scheitern beschäftigte ihn nicht nur, sondern beherrschte ihn. Ständig fragte er Bruce, wie die Menschen in Ada über ihn dachten. Hatte er sie enttäuscht, weil er nicht der nächste Mickey Mantle geworden war? Redeten sie in den Coffeeshops und Lokalen über ihn? Bruce versicherte ihm, dass dem nicht so war. Es half nicht. Ron glaubte, dass man ihn in seiner Heimatstadt als Versager sah, und das ließ sich nur ändern, wenn er wieder einen Vertrag bekam, eine letzte Chance, um den Sprung in die Major Leagues zu schaffen.
    Kopf hoch, Kumpel, sagte Bruce immer wieder. Mit Baseball ist es vorbei. Der Traum ist ausgeträumt.
    Rons Familie begann, Persönlichkeitsveränderungen bei ihm zu registrieren. Manchmal war er nervös, aufgeregt und unfähig, sich auf ein Thema zu konzentrieren, bevor er unvermittelt zum nächsten wechselte. Bei Familientreffen saß er für ein paar Minuten still da, als wäre er stumm gewesen, um dann das Gespräch der anderen mit Bemerkungen zu unterbrechen, die immer nur ihn selbst betrafen. Wenn er redete, ließ er praktisch niemanden zu Wort kommen, und jedes Thema musste in einer Beziehung zu seinem Leben stehen. Er hatte Probleme damit, ruhig sitzen zu bleiben, rauchte ohne Unterlass und entwickelte die seltsame Gewohnheit, einfach aus dem Raum zu stürmen. Zu Thanksgiving 1977 lud Annette die ganze Familie ein und servierte das traditionelle Festessen. Sobald alle Platz genommen hatten, verließ Ron abrupt und ohne ein Wort das Esszimmer, um quer durch Ada zum Haus seiner Mutter zu marschieren. Auf eine Erklärung warteten alle vergebens.
    Bei anderen Familientreffen zog er sich in ein Schlafzimmer zurück, verschloss die Tür und blieb dort, was für die anderen zwar etwas beunruhigend war, es ihnen aber immerhin ermöglichte, für einige Zeit ein ungestörtes Gespräch zu führen. Irgendwann stürmte er aus dem Schlafzimmer heraus und schwadronierte über alles, was ihm gerade durch den Kopf ging. Nie hatte es auch nur annähernd etwas damit zu tun, worüber die anderen gerade sprachen. Er stand mitten im Zimmer und plapperte wie ein Verrückter, bis er irgendwann müde wurde, wieder im Schlafzimmer verschwand und erneut die Tür verschloss.
    Einmal platzte er mit einer Gitarre in den Raum, traktierte sie wie wild, sang schief und forderte den Rest der Familie zum Mitsingen auf. Nach ein paar trostlosen Songs gab er es auf, um ein weiteres Mal im Schlafzimmer zu verschwinden. Alle seufzten tief und rollten die Augen, dann kehrte wieder Normalität ein. Unglücklicherweise gewöhnte sich die Familie an sein Benehmen.
    Ron konnte introvertiert und mürrisch sein, tagelang wegen allem und jedem schmollen. Doch dann, als wäre in seinem Kopf ein Schalter umgelegt worden, war er wieder kontaktfreudig und offen. Der

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