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Der Gefangene

Titel: Der Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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gehabt und schließlich nachgegeben, um ihn von Gewalttätigkeiten abzuhalten. Auch diesmal schenkte die Jury Ron Glauben und sprach ihn frei.
    Als man ihn zum ersten Mal einen Vergewaltiger genannt hatte, war das demütigend gewesen, und Ron wusste, dass dieses Etikett jahrelang an ihm kleben bleiben würde. Aber nur wenige bekamen es gleich zweimal angeheftet, und das auch noch in knapp fünf Monaten. Wie konnte man ihn, den großen Ron Williamson, als Vergewaltiger abstempeln? Trotz des zweimaligen Freispruchs würde das Geschwätz der Leute verhindern, dass die Vorfälle in Vergessenheit gerieten. Man würde auf der Straße mit dem Finger auf ihn zeigen.
    Er war sechsundzwanzig und für einen guten Teil seines Lebens der Baseballstar gewesen, der von sich selbst überzeugte Sportler, der in den Major Leagues Furore machen würde. Auch danach noch war er ein selbstbewusster Spieler gewesen, dessen Schulterverletzung irgendwann wie von selbst verschwinden würde. Die Menschen in Ada und Asher hatten ihn nicht vergessen. Er war jung, sein Talent stand noch immer außer Frage. Alle Welt kannte seinen Namen.
    Die Vergewaltigungsprozesse änderten alles. Ihm war klar, dass man ihn als Spieler vergessen und in Zukunft nur noch als Mann sehen würde, der zweimal wegen eines Sexualdelikts vor Gericht gestanden hatte. Er wurde zum Einzelgänger, zog sich von Tag zu Tag tiefer in seine düstere, aus den Fugen geratene Welt zurück. Zur Arbeit erschien er nur noch unregelmäßig, dann gab er den Job bei Toppers Menswear ganz auf. Bald war er pleite, und schließlich packte er seine Sachen und verließ Tulsa, ohne jemandem etwas zu sagen. Er war auf dem Weg nach unten, glitt in eine Welt ab, wo es nur noch Depressionen, Alkohol und Drogen gab.
    Juanita nahm ihn auf, und sie war tief besorgt. Von den Geschichten in Tulsa hatte sie nicht viel mitbekommen, aber sie und Annette wussten genug, um pessimistisch in die Zukunft zu schauen. Ron war ganz offensichtlich am Ende -Alkoholsucht, immer unvorhersehbarere und drastischere Stimmungsschwankungen, ein zunehmend bizarres Verhalten. Er sah grauenvoll aus - lange Haare, unrasiert, dreckige Kleidung. Und doch war er derselbe Ron Williamson, der stets so viel Wert auf Stil und Eleganz gelegt, teure Kleidung verkauft und Kunden gezeigt hatte, welche Krawatte zu welchem Jackett passte.
    Sein Stammplatz wurde das Sofa im Wohnzimmer seiner Mutter, und es dauerte nicht lange, bis er zwanzig Stunden am Tag schlief, immer nur auf dem Sofa. Er hatte noch sein altes Zimmer, weigerte sich aber, es nach Einbruch der Dunkelheit zu betreten. Irgendetwas wartete dort auf ihn, etwas, was ihm Angst machte. Obwohl er einen festen Schlaf hatte, sprang er manchmal auf und schrie, er sehe Schlangen auf dem Boden und Spinnen an den Wänden.
    Bald hörte er auch Stimmen, wollte seiner Mutter aber nicht erzählen, was sie sagten. Dann begann er ihnen zu antworten.
    Alles ermüdete ihn - eine Mahlzeit oder ein Bad waren eine enorme Kraftanstrengung, denen immer ausgedehnte Nickerchen folgten. Er war lustlos und unmotiviert, selbst während der kurzen Zeitabschnitte, in denen er nicht trank. Juanita hasste Alkohol und Zigaretten und hatte beides nie in ihrem Haus geduldet. Der Streit wurde dadurch geschlichtet, dass Ron in einen winzigen Abstellraum neben der Küche umzog. Dort konnte er rauchen, trinken und Gitarre spielen, ohne seine Mutter zu ärgern. Wurde er müde, kehrte er ins Wohnzimmer zurück und ließ sich auf das Sofa fallen. Natürlich war dieser Zustand bei seinen Stimmungsschwankungen nicht von Dauer. Als er wieder zu Kräften gekommen war, stürzte er sich erneut ins Nachtleben. Alkohol, Drogen, Frauen, Letzteres aber mit ein bisschen mehr Zurückhaltung. Tagelang war er verschwunden. Er wohnte bei Freunden und pumpte jeden Bekannten an, der ihm über den Weg lief. Dann, beim nächsten Stimmungsumschwung, war er plötzlich wieder zurück und lag auf dem Sofa, als hätte es die Außenwelt nicht gegeben.
    Juanita machte sich unablässig Sorgen. Bisher hatte es in der Familie keine psychischen Erkrankungen gegeben, und sie hatte keine Ahnung, wie sie damit umgehen sollte. Sie betete viel, war aber verschwiegen und gab sich alle Mühe, Ronnies Probleme vor Annette und Renee geheim zu halten. Beide waren verheiratet und glücklich. Ronnie war ihre Bürde, nicht die seiner Schwestern.
    Gelegentlich redete Ron davon, sich einen Job zu suchen. Er litt darunter, nicht zu arbeiten und auf andere

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