Der Gefangene
angewiesen zu sein. Ein Freund kannte jemanden in Kalifornien, der Arbeitskräfte suchte, und Ron machte sich in Richtung Westen auf, zur großen Erleichterung seiner Familie. Ein paar Tage später rief er weinend bei seiner Mutter an und sagte, er lebe mit Teufelsanbetern zusammen, die ihm Angst einjagten und ihn an der Abreise zu hindern versuchten. Juanita schickte ein Flugticket, und es gelang ihm zu entkommen.
Anschließend suchte er in Florida, New Mexico und Texas Arbeit, doch wenn er etwas gefunden hatte, hielt er es nie länger als einen Monat aus. Jede kurze Reise erschöpfte ihn, und danach ließ er sich noch kraftloser auf das Sofa fallen.
Schließlich überredete ihn Juanita, einen Psychiater aufzusuchen, dessen Diagnose manisch-depressiv lautete. Er verschrieb Lithium, das Ron aber nicht regelmäßig einnahm. Hin und wieder suchte er sich einen Teilzeitjob, schaffte es jedoch nicht, ihn zu behalten. Er hatte allenfalls Talent, den Leuten etwas zu verkaufen, doch in seinem gegenwärtigen Zustand konnte er niemandem gegenübertreten und ihn durch seinen Charme überzeugen. Noch immer bezeichnete er sich als Baseballprofi, als engen Freund von Reggie Jackson, doch die Einwohner von Ada wussten es mittlerweile besser.
Gegen Ende des Jahres 1979 bat Annette um einen Termin bei Ronald Jones, einem Bezirksrichter, der sein Büro im Gericht von Pontotoc County hatte. Sie klärte ihn über den Zustand ihres Bruders auf und fragte, ob der Staat oder die Justiz ihm irgendwie helfen könnten. Nein, antwortete der Richter, erst wenn Ron eine Gefahr für sich selbst oder andere werde.
An einem besonders guten Tag stellte sich Ron in einem Zentrum für berufliche Wiedereingliederung in Ada vor. Sein Zustand alarmierte den Berater, und er schickte ihn zu Dr. M. R Prosser vom St. Anthony Hospital in Oklahoma City, wo er am 1. Dezember 1979 aufgenommen wurde.
Schon bald gab es Probleme. Ron verlangte unrealistische Privilegien. Er erwartete vom Personal, dass es ihm bevorzugt Zeit und Aufmerksamkeit widmete, und führte sich auf, als wäre er der einzige Patient gewesen. Als seine Wünsche nicht erfüllt wurden, verließ er das Krankenhaus, um ein paar Stunden später erneut aufzutauchen und um seine Wiederaufnahme zu bitten.
Am 8. Januar 1980 notierte Dr. Prosser: »Der Patient legt ein ziemlich bizarres und zuweilen psychopathisches Verhalten an den Tag. Ob er manisch-depressiv ist, wie der Psychiater aus Ada glaubt, oder eine schizoide Persönlichkeit mit soziopathischen Zügen - vielleicht auch eine soziopathische mit schizoiden Zügen -, wird man vielleicht nie abschließend beurteilen können ... Möglicherweise wäre eine Langzeittherapie angebracht, aber er glaubt nicht, dass er eine Behandlung wegen Schizophrenie braucht.«
Seit seiner Jugend, den ruhmreichen Tagen auf dem Baseballfeld, hatte Ron in einem Traum gelebt und nach dem Platzen dieses Traums die Realität nie akzeptiert - dass nämlich seine Karriere beendet war. Noch immer glaubte er, dass »sie« - Funktionäre aus den Profiligen - ihn zurückholen, in eine Mannschaft stecken und ihm die Chance geben würden, berühmt zu werden. »Das ist der wirklich schizophrene Aspekt bei ihm«, schrieb Dr. Prosser. »Er will einfach nur wieder spielen, vorzugsweise als einer der Stars.«
Eine Langzeitbehandlung wegen Schizophrenie wurde empfohlen, aber Ron weigerte sich, diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen. Die gründliche körperliche Untersuchung wurde nie beendet, weil er nicht mitmachte, aber Dr. Prosser notierte: »Ein körperlich gesunder, muskulöser, beweglicher, aktiver junger Mann ... besser in Form als die meisten seiner Altersgenossen.«
Wenn Ron in der Lage war, den Alltag zu bestehen, ging er jetzt selbst von Tür zu Tür, um Rawleigh-Haushaltsprodukte zu verkaufen, in denselben Straßen von Ada wie einst sein Vater. Mühsame Arbeit, magere Einkünfte, und ihm fehlte die Geduld für den Papierkram. Und überhaupt, war er nicht Ron Williamson, der große Baseballstar? Und der sollte jetzt Haustürgeschäfte machen?
Ohne medizinische Betreuung und medikamentöse Behandlung, aber weiterhin trinkend, wurde Ron Stammkunde aller nur erdenklichen Kneipen in Ada - ein schlampig gekleideter Säufer mit großer Klappe, der mit seiner Baseballkarriere angab und Frauen belästigte. Manch einem jagte er Angst ein, und die Barkeeper und Türsteher kannten ihn gut. Wenn Ron Williamson irgendwo trank, entging das niemandem. Eine seiner bevorzugten
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