Der Gefangene
aber es brachte nichts. Im Leben von Dennis Smith und Gary Rogers gab es nichts anderes mehr als diese beiden Morde.
Für Rogers war der Druck besonders schlimm. Ein Jahr vor dem Verschwinden von Denice Haraway hatte es in Seminole, knapp fünfzig Kilometer nördlich von Ada, einen ähnlichen Fall gegeben. Eine Achtzehnjährige namens Patty Hamilton, die in einem rund um die Uhr geöffneten Laden gearbeitet hatte, war verschwunden. Ein Kunde hatte das Geschäft verwaist vorgefunden. Die Registrierkasse war leer, auf der Theke standen zwei geöffnete Limonadendosen, es gab keine Anzeichen für einen Kampf. Partys abgeschlossenes Auto parkte vor der Tür. Sie war spurlos verschwunden, und die Polizei hatte ein Jahr lang vermutet, sie sei entführt und ermordet worden.
Der für Patty Hamilton zuständige OSBI-Beamte war Gary Rogers, der mit den Fällen Carter, Haraway und Hamilton nun also drei ungeklärte Morde an jungen Frauen auf seinem Schreibtisch liegen hatte.
Als Oklahoma noch kein Bundesstaat gewesen war, hatte Ada den illustren und wohlverdienten Ruf gehabt, eine Zufluchtsstätte für Revolverhelden und Outlaws zu sein. Meinungsverschiedenheiten wurden mit dem Revolver geregelt, und wer schneller zog, überlebte nicht nur, sondern brauchte sich auch keine Gedanken um eine strafrechtliche Verfolgung zu machen. Bankräuber und Viehdiebe kamen in die Stadt, weil Ada im Indianerterritorium lag und nicht zu den Vereinigten Staaten gehörte. Die Sheriffs, so sich welche fanden, waren keine Bedrohung für die Berufsverbrecher, die sich in Ada und Umgebung niedergelassen hatten.
An dem Ruf der Stadt, ein Paradies der Gesetzlosen zu sein, änderte sich erst im Jahr 1909 etwas, als die Einwohner endlich genug davon hatten, ständig in Angst zu leben. Ein geachteter Rancher namens Gus Bobitt war von einem professionellen Killer erschossen worden, den ein anderer Landbesitzer angeheuert hatte. Der Mörder und drei seiner Komplizen wurden festgenommen, und in der Stadt breitete sich eine hysterische Stimmung aus - alle wollten die vier am Galgen baumeln sehen. Angeführt von den Masons, aufrechten Bürgern von Ada, bildete sich am frühen Morgen des 19. April 1909 eine Gruppe von vierzig Menschen, die feierlich die Masonic Hall an der Ecke der Twelfth Street und des Broadway verließen und ein paar Minuten später vor dem Gefängnis eintrafen. Sie überwältigten den Sheriff, zerrten die vier Verbrecher aus ihren Zellen und schleiften sie über die Straße zu einem Mietstall, der für die Hinrichtung auserkoren worden war. Jedem der vier wurden mit Draht Handgelenke und Fußknöchel gefesselt, dann wurden sie feierlich gehängt. Am nächsten Morgen baute ein Fotograf seine Kamera in dem Stall auf und schoss ein paar Fotos. Eines davon hat die Jahre überdauert, ein verblichenes Schwarz-Weiß-Bild, auf dem die vier Männer leblos an Stricken hängen, fast friedlich wirkend. Jahre später wurde das Foto auf einer Postkarte reproduziert und im Büro der Handelskammer verschenkt.
Für Jahrzehnte waren diese Hinrichtungen Adas stolzester Augenblick gewesen.
5. Kapitel
Im Fall Carter hatten Dennis Smith und Gary Rogers ni cht nur einen Autopsiebericht, Haarproben und »verdächtige« Lügendetektorkurven, sondern auch schon einen mutmaßlichen Täter. Ron Williamson war für eine Weile nicht greifbar, solange er seine Strafe absaß, aber er würde wiederkommen. Früher oder später würden sie ihn überführen.
Im Fall Haraway dagegen hatten sie nichts. Keine Leiche, keine Zeugen, nicht einen einzigen vielversprechenden Hinweis. Die Phantomzeichnungen passten auf etwa die Hälfte aller jungen Männer von Ada. Die Beamten brauchten dringend einen Durchbruch.
Und er kam, förmlich aus dem Nichts. Im Oktober 1984 betrat ein Mann namens Jeff Miller das Ada Police Department und verlangte Detective Dennis Smith zu sprechen. Er sagte, er habe Informationen zum Fall Haraway.
Miller war ein junger Mann aus dem Ort. Er hatte keine Vorstrafen, doch die Polizei kannte ihn als einen der vielen rastlosen jungen Leute, die sich nachts herumtrieben und ständig den Job wechselten, zumeist in Fabriken malochten. Miller zog sich einen Stuhl heran und begann mit seiner Geschichte.
An dem Abend, als Denice Haraway verschwand, habe am Blue River eine Party stattgefunden, an einer Stelle, die etwa vierzig Kilometer von Ada entfernt liege. Jeff Miller erklärte, dass er selbst nicht bei dem Fest gewesen sei, aber zwei Frauen kenne, die dort
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