Der Gefangene
Aber sie kannten ihn, und er kannte sie. Deshalb wollte er den Detectives Smith und Rogers nach Möglichkeit aus dem Weg gehen.
Janette war der Meinung, wenn er nichts zu verbergen habe, könne er getrost zur Polizei gehen und mit Dennis Smith und Mike Baskin reden. Tommy hatte mit der Haraway-Sache nichts zu schaffen, aber er traute der Polizei nicht. Nachdem er eine Stunde lang mit sich gerungen hatte, bat er Mike, ihn zur Polizeidirektion von Norman zu fahren.
Smith und Baskin führten ihn ins Untergeschoss in einen Raum, der mit einer Videoanlage ausgerüstet war, und verkündeten, dass sie die Vernehmung aufzeichnen wollten. Tommy war nervös, erklärte sich aber einverstanden. Das Gerät wurde eingeschaltet, sie belehrten ihn über sein Aussageverweigerungsrecht, und er unterschrieb die entsprechende Verzichtserklärung.
Die Beamten begannen einigermaßen höflich; es sei nur eine Routinebefragung, nicht weiter bedeutsam. Sie fragten Tommy, ob er sich an die letzte Befragung vor fünf Monaten erinnere. Natürlich. Ob er damals die Wahrheit gesagt habe? Ja. Würde er jetzt die Wahrheit sagen? Ja.
Nach wenigen Minuten hatten ihn Smith und Baskin mit unzusammenhängenden Fragen so verwirrt, dass er die Wochentage verwechselte. An dem Tag, als Denice Haraway verschwand, habe er bei seiner Mutter Wasserleitungen repariert. Anschließend habe er geduscht und sei dann zu einer Party bei den Roberts' in Ada aufgebrochen. Um vier Uhr morgens sei er zu Fuß nach Hause gegangen. Fünf Monate zuvor hatte er den Polizisten erzählt, das sei am Tag vordem Verschwinden des Mädchens gewesen. »Ich habe nur das Datum verwechselt«, versuchte er sich zu rechtfertigen, aber die Cops ließen sich nicht überzeugen.
»Wann ist Ihnen aufgefallen, dass Sie uns nicht die Wahrheit gesagt haben?«, kam als Erwiderung und: »Sagen Sie uns jetzt die Wahrheit?« Und: »Sie bringen sich in ernsthafte Schwierigkeiten.«
Der Ton wurde hart und anklagend. Smith und Baskin blufften und behaupteten, mehrere Zeugen zu haben, die bestätigen könnten, dass Tommy am fraglichen Samstagabend bei der Party am Blue River gewesen und von dort mit einem geliehenen Pick-up weggefahren sei. Nicht an diesem Tag, sagte Tommy und blieb bei seiner Version. Er sei am Freitag fischen, am Samstag auf einer Party bei den Roberts' und am Sonntag auf einer Party am Fluss gewesen.
Warum lügen die Cops nur?, fragte er sich. Doch er kannte die Antwort. Das Lügen ging weiter. »Stimmt es etwa nicht, dass Sie McAnally's überfallen wollten? Wir haben Leute, die das bezeugen werden.«
Tommy schüttelte den Kopf. Er blieb standhaft, aber er war tief beunruhigt. Wenn die Cops so bereitwillig logen, wozu waren sie dann noch fähig?
Dennis Smith holte ein großes Foto von Denice Haraway heraus und hielt es Tommy dicht vors Gesicht. »Kennen Sie dieses Mädchen?«
»Ich kenne sie nicht. Ich habe sie nur mal gesehen.«
»Haben Sie das Mädchen ermordet?«
»Nein. Ich würde niemals jemanden umbringen.«
»Wer hat sie getötet?«
»Das weiß ich nicht.«
Smith hielt Tommy immer noch das Foto vor die Augen. »Ist sie hübsch?«, fragte er und fuhr fort: »Ihre Angehörigen möchten sie zu Grabe tragen. Sie wollen wissen, wo sie ist, damit sie sie beerdigen können.«
»Ich weiß nicht, wo sie ist«, erwiderte Tommy, blickte auf das Foto und fragte sich, warum sie ausgerechnet ihn beschuldigten.
»Sagen Sie mir, wo sie ist, damit ihre Angehörigen sie beerdigen können?«
»Ich weiß es nicht.«
»Benutz deine Fantasie«, sagte Smith. »Zwei Kerle schnappen sie, verfrachten sie in einen Pick-up und fahren mit ihr weg. Was meinst du, was machen sie mit der Leiche?«
»Keine Ahnung.«
»Benutz deine Fantasie. Was glaubst du?«
»Sie könnte ja auch noch am Leben sein, nach allem, was ich weiß, nach allem, was Sie wissen, nach allem, was allgemein bekannt ist.«
Smith setzte seine Fragen fort, ohne das Foto zu senken. Tommys Antworten wurden entweder missachtet, als Lüge abgetan oder überhört. Die Cops wollten wiederholt von ihm wissen, ob er das Mädchen hübsch finde. Ob er glaube, dass sie geschrien habe. Ob er nicht der Meinung sei, dass ihre Familie das Recht habe, sie endlich unter die Erde zu bringen.
»Hast du darüber mal nachgedacht, Tommy?«, setzte Smith hinzu.
Endlich nahm er das Foto herunter. Er stellte Tommy Fragen über dessen geistige Verfassung, über die Phantomzeichnungen, über seinen Bildungshintergrund. Dann hob er das Foto
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