Der Gefangene
gewesen.
Gegen Dennis Fritz hatte die Polizei noch weniger in der Hand. Ein Jahr nach dem Mord hatten die Nachforschungen in seinem Fall nur zu dem Resultat geführt, dass er gefeuert worden war und dass die Neuntklässler in Noble ohne Biologielehrer dastanden.
Im Januar 1984 bekannte sich Ron der Scheckfälschung schuldig und wurde zu einer Gefängnisstrafe von drei Jahren verurteilt. Er kam in eine Besserungsanstalt in der Nähe von Tulsa, und es dauerte nicht lange, bis das Personal auf sein seltsames Verhalten aufmerksam wurde. Daraufhin wurde er zeitweilig zur Beobachtung auf die psychiatrische Station eines Krankenhauses verlegt. Dr. Robert Briody führte am Morgen des 13. Februar ein Gespräch mit ihm und hielt hinterher fest: »Er wirkt eher introvertiert und scheint sein Verhalten unter Kontrolle zu haben.« Aber am Nachmittag desselben Tages, bei einem zweiten Gespräch, erlebte Dr. Briody einen anderen Menschen: »... leicht manisch, laut, reizbar, schnell zu erregen. Des Weiteren fielen mir unlogische Assoziationen, Gedankensprünge, irrationale Gedanken und einige paranoide Ideen auf. Die Diagnose sollte vertieft werden.«
Auf Rons Station nahm man es mit der Aufsicht nicht so genau. Er entdeckte in der Nähe ein Baseballfeld und fand Vergnügen daran, nachts auszubüxen und dort die Einsamkeit zu genießen. Ein Polizist entdeckte ihn, friedlich schlafend, und brachte ihn ins Krankenhaus zurück. Dort ermahnte man ihn und ließ ihn einen Bericht schreiben. Er lautete:
Ich war in der Nacht down und brauchte Zeit zum Nachdenken. Auf einem Baseballfeld habe ich schon immer meinen Frieden gefunden. Ich spazierte zur südöstlichen Ecke des Platzes, wo ich mich auf dem Boden zusammenrollte wie ein alter Jagdhund unter dem Schattenbaum. Ein paar Minuten später forderte mich ein Polizist auf, ins Krankenhaus zurückzukehren. Ich begegnete Brents auf dem Feld, und wir gingen gemeinsam zurück. Nachdem er begriffen hatte, dass ich nichts Schlimmes im Schilde führte, sagte er, er wolle den Vorfall vergessen. Dass man mir trotzdem auf die Finger geklopft hat, beweisen diese Zeilen.
Da der Hauptverdächtige hinter Gittern saß, kamen die Untersuchungen im Mordfall Carter praktisch zum Stillstand. Es vergingen Wochen, in denen kaum etwas passierte. Dennis Fritz arbeitete kurzzeitig in einem Altersheim, dann in einer Fabrik. Die Polizei von Ada schikanierte ihn gelegentlich, doch schließlich verlor sie die Lust. Glen Gore war weiterhin in der Stadt, aber für die Cops kaum von Interesse.
Die Polizei war frustriert, die Situation angespannt, und der Druck sollte noch enorm anwachsen.
Im April 1984 wurde in Ada eine weitere junge Frau ermordet, und obwohl es keinerlei Verbindung zum Fall Carter gab, sollte die zweite Bluttat dramatische Auswirkungen auf das Leben von Ron Williamson und Dennis Fritz haben.
Denice Haraway war vierundzwanzig, studierte an der East Central University und arbeitete nebenher bei McAnally's, einem kleinen Supermarkt am östlichen Stadtrand von Ada. Seit acht Monaten war sie mit Steve Haraway verheiratet, ebenfalls Student und Sohn eines stadtbekannten Zahnarztes. Das Ehepaar lebte in einer kleinen Eigentumswohnung, die Dr. Haraway gehörte.
Am Samstag, dem 28. April, gegen halb neun abends, näherte sich ein Kunde dem Eingang von McAnally's, als ihm eine attraktive junge Frau entgegenkam, die gerade das Geschäft verlassen hatte. Bei ihr war ein junger Mann, ebenfalls Anfang zwanzig. Sie gingen zu einem Pick-up, in den zuerst die Frau einstieg, auf der Beifahrerseite. Dann setzte sich ihr Begleiter hinters Steuer, knallte die Tür zu, und kurz darauf sprang der Motor an. Sie fuhren in östlicher Richtung davon, aus der Stadt hinaus. Das Fahrzeug war ein alter Chevrolet mit einer ungleichmäßigen grauen Lackierung. In dem Geschäft erblickte der Kunde niemanden. Die Lade der Registrierkasse war offen und geleert worden. Eine noch brennende Zigarette lag in einem Aschenbecher, daneben stand eine geöffnete Bierdose. Auf der Theke sah er ein aufgeschlagenes Lehrbuch, dahinter eine braune Handtasche. Der Kunde schaute nach, ob jemand in der Nähe war, doch er war allein. Da es sich womöglich um einen Raub handelte, rief er die Polizei an.
In der braunen Handtasche fand ein Streifenbeamter den Führerschein von Denice Haraway. Der Kunde schaute sich das Foto an. Genau, das sei die junge Frau, die ihm vor einer halben Stunde draußen begegnet sei. Ja, er sei sich sicher, dass es
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