Der gefrorene Rabbi
Riga nach Amerika, hat hervorgebracht, ich bitte demütig von Ihnen einen Empfang …« In diesem Stil ging es noch länger weiter.
In der Überzeugung, die Balance zwischen Würde und Unterwürfigkeit genau gewahrt zu haben, schickte Max den Brief ab, doch nach einer Woche hatte er noch immer keine Antwort erhalten. Unverzagt probierte er es erneut mit einer noch überschwänglicheren Mitteilung. Darin versicherten er und Schmerl dem Mogul, dass ihr Treffen dem Interesse beider Seiten diente. Abermals blieb die Erwiderung aus. Dennoch zweifelte Max nicht daran, dass Belmont der Richtige war, denn der Bankier war für seine Risikofreude bekannt. Neben dem Handel mit Schmuggelware (den ein wohlhabender Mann wie er sicher nur wegen des Nervenkitzels trieb) hatte er nicht nur die erste Untergrundbahn mit auf den Weg gebracht und sich einen eigenen luxuriösen Salonwagen zugelegt, sondern auch ein Vermögen in den Bau eines Kanals gesteckt. Darüber hinaus stand er im Ruf, gern zu wetten und so in die Pferde vernarrt zu sein, dass er sogar eine nach ihm benannte Rennbahn bauen wollte. Als jedoch alle Appelle ungehört verhallten, kamen die zwei Partner zu dem Schluss, dass eine direktere Vorgehensweise notwendig war.
Schmerl, der sich normalerweise nicht gerade durch diplomatisches Gespür hervortat, wies darauf hin, dass die Erinnerung an gesetzwidrige Handlungen vielleicht nicht der beste Ansatz war, um das Vertrauen des reichen Mannes zu gewinnen; günstiger war es wohl, ihr Anliegen persönlich vorzutragen. So warfen sie sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten in Schale und stellten sich im fürstlichen Wall-Street-Büro des Bankiers vor, wo man ihnen, da sie keinen Termin hatten, umgehend die Tür wies. Doch auch diese Abweisung bestärkte sie nur in ihrer Beharrlichkeit. So kam es, dass die beiden Einwanderer am folgenden Samstag, in der Hoffnung, ihren Mann an diesem Tag am ehesten zu Hause anzutreffen, verkleidet als Teppichreiniger vor dem Dienstboteneingang der Bankiersvilla an der Fifth Avenue auftauchten. Dort trat ihnen ein Butler mit breiter Hinterpartie entgegen und klagte, dass sie ihr Kommen rechtzeitig hätten ankündigen müssen, ehe er sie dennoch einließ.
»Ihr könnt mit dem Vestibül anfangen.« Er winkte sie in die angedeutete Richtung und meinte, dass er zu tun hatte und später nach ihnen sehen wollte.
Wenn sie schon beim Anblick der Häuserfassaden des Viertels Zweifel beschlichen hatten, so raubte ihnen das Innere der Belmont-Residenz - angeblich das bescheidenste Anwesen der Familie - fast die Besinnung. Flüsternd versuchte Max in Worte zu fassen, was ihnen beiden gleichzeitig eingefallen war: »Glaube ich, sind wir von der East Side so weit wie die East Side is von dem russischen Rayon.« Die Eingangshalle war ein kreisförmiges Gemach mit einer Buntglaskuppel, die, so Schmerl, wie Gottes Scheitelkappe über einem schwarzen Marmorbrunnen mit einem einzigen tanzenden Wasserstrahl aufragte. An der Spitze des Brunnens schwebte eine nackte Nymphe auf einem gewölbten Fuß. Als stünde er in einer himmlischen mikwe, konnte Schmerl den Blick nicht abwenden, bis ihn Max weiterdrängte. Vom Knotenpunkt des Brunnens strahlten Gänge aus, deren vielfältige Wandspiegel Korridore in die Unendlichkeit erzeugten. Zwischen den Reflektionen gab es fantastische antike Fliesen und perlmuttbesetzte Holzschränke, Nischen voller Palmwedel, riesige Glasglocken, in denen ganze Schwärme von Schmetterlingen schwebten. Türen öffneten sich auf das Mittelalter, das römische Reich, Byzanz. Die ächzenden Räder von Schmerls Holzkarren auf den Parkettböden drohten die Domestiken zu alarmieren, doch schon bald wurde der Karren von einem markerschütternden Vibrato übertönt, das die Paravents erbeben ließ wie Paukenfelle und um ein Haar die Vasen auf ihren Podesten zerschmetterte. Wie angewurzelt blieben die Gefährten stehen, bis sich Max, der sich vorher kundig gemachte hatte, daran erinnerte, dass der Krösus eine Operndiva geheiratet hatte. Diese Erklärung vermochte kaum Schmerls Eindruck zu zerstreuen, wie er wispernd kundtat, dass sie in die hechalot gestolpert waren, die himmlischen Tempel, wie sie im seder gan eden beschrieben waren, obwohl nicht einmal dieses Buch dem Palast hier gerecht werden konnte.
Nachdem sie einen ganzen Flügel der Villa durchstreift hatten, ohne auf Herrn und Diener zu treffen, waren sie eher erleichtert als enttäuscht. Doch eingedenk ihres Vorhabens machten sie kehrt und
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