Der gefrorene Rabbi
Überweisung gesandt hatte, hatte er das Gefühl, Max Feinschmeker, der ohnehin nie mehr gewesen war als ein unvollendetes Werk, offiziell zur Ruhe gebettet zu haben. Allerdings schien diese Einschätzung für Jochebed, die sich inzwischen offener äußerte, ein wenig verfrüht. Gewohnheitsmäßig vorsichtig, hatte sie bisher nicht wieder zu Frauenkleidern gegriffen, nicht einmal in der Zurückgezogenheit ihres Apartments in der West Side, auch wenn sie gelegentlich auf dem Upper Broadway stehen blieb, um einen Steinmardermuff im Schaufenster eines Pelzhändlers oder die mit lackierten Kirschen geschmückte Strohhaube eines Hutmachers zu bewundern. Nicht dass Jochebed je eitel in Bezug auf ihr Aussehen gewesen wäre. Doch vorsichtig begann sie wieder, die weibliche Seite des Lebens zu erforschen. Sie kaufte ein Nudelbrett, auf dem sie den Teig in Kreisen ausrollte und in Streifen schnitt. Diese breitete sie über Stuhllehnen wie gemangelte und zum Trocknen aufgehängte Kleidungsstücke aus. Später kochte sie die Nudeln in Hühnerbrühe oder machte damit auf einem Gasherd kugl. Sie erstand zwei Garnituren Töpfe und Geschirr für Fleisch- und Milchspeisen und ließ mit dem Erwerb einer Zinnform und einer Tüte Steinsalz ihre längst erloschene Leidenschaft für die Zubereitung von Sorbets und gefrorenen Nachspeisen wieder aufleben. Obwohl in ihrem Bad eine Wanne mit Klauenfüßen stand, hatte sie Lust, auch wieder eine mikwe zu besuchen. Wenngleich die Sorge um das Unternehmen Vorrang vor allem anderen hatte (wie an den Kontenbüchern auf ihrem Mahagonischreibtisch im Salon zu sehen war), erfreute sie sich doch an ihrer dilettierenden Beschäftigung mit weiblichen Dingen, was allerdings nicht das Geringste an ihrer Verachtung für die Frau änderte, die sie einmal gewesen war.
Da Jochebeds teilweise Wiederauferstehung paradoxerweise zur Folge hatte, dass das Mädchen meist hinter verschlossenen Türen blieb, verständigte sie sich (als Max) über Boten mit Schmerl, was für beide unbefriedigend war. Denn Jochebed teilte noch immer Max’ kameradschaftliche Gefühle für Schmerl, und Max, der im Grunde den Platz mit Jochebed getauscht und nur noch ein vermindertes Stimmrecht hatte, vermisste seinen Gefährten mit einer Inbrunst, die für das Mädchen schwer zu begreifen war. Schmerls Fehlen ließ die vornehmen, laubbedeckten Straßen, auf denen sich Magnaten mit ihren herausgeputzten korpulenten Gattinnen tummelten, nicht mehr nur als Zufluchtsort erscheinen, sondern auch als Exil. Aber Jochebed tadelte Max wegen dieser Gedanken. Schließlich war Schmerl Karp doch ein zedrajt. Ein Spinner. Das war ihr hier in der West Side noch deutlicher geworden. Und Gott wusste, dass es nicht leicht war, ihn anzuschauen. Obwohl sie den Blick stets von seinem unbekleideten Körper abgewandt hatte, glaubte sie doch bemerkt zu haben, dass sein Buckel selbst in der relativ kurzen Zeit ihrer Bekanntschaft gewachsen war. Seine Knopfaugen wurden immer ausgeprägter, und sein rotblondes Haar ähnelte den zerzausten Federn eines Truthahns. Und den Geruch der Ställe hatte er (trotz seiner Besuche der Bäder am Rutgers Square, die er stets lauthals erwähnte) nie ganz abgelegt.
Natürlich verfügte er auch über Fähigkeiten. Sein eigenwilliges Gehirn machte ihn zu einem verblendeten Kauz, vielleicht sogar zu einer Art Visionär, und so unerschöpflich war seine Kraft, dass er nie zu gähnen schien. Das hatte Max immer beeindruckt. Außerdem war er vollkommen furchtlos in der Ergebenheit gegenüber seinem Freund und kannte offenbar nicht die geringste Arglist. Das machte ihn auf eine Weise anfällig, die sich für eine ihm zugeneigte Frau sicher als Bürde entpuppen musste. Aber welche Frau würde schon solch einen vollkommenen schlemil wie Schmerl Karp nehmen? Was sie selbst, also Jochebed, anging, war die ganze Sache zwischen Männern und Frauen ohnehin rein akademisch. Das Stigma, das sie in ihrem früheren Leben davongetragen hatte - dass sie es nur ja nicht vergaß! -, brannte noch immer wie Feuer in ihrem Herzen und musste Schande über jeden Mann bringen, der sich in ihre Reichweite wagte. Dennoch überkam sie manchmal das Verlangen, Max’ Busenfreund ein Zeichen ihrer Wertschätzung zukommen zu lassen, ein Geschenk von seltener Bedeutung … Aber was konnte das sein? Der Rabbi gehörte ihm ja praktisch schon.
Ob nun mit oder ohne Max’ Gegenwart, das Unternehmen gedieh, und bald war der Kredit voll abbezahlt. Die Wagen mit dem
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