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Der gefrorene Rabbi

Der gefrorene Rabbi

Titel: Der gefrorene Rabbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Stern
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Warenzeichen des Ice Castle (ein Schloss aus Eis - was sonst?) fuhren durch die ganze Stadt. Nach kurzer Zeit gehörten die Lieferanten, die das Eis auf Bestellung mit Pickeln zerteilten und es sich auf hanfgeschützte breite Schultern luden, um es mehrere Stockwerke hinaufzutragen und in emaillierten Eiskästen zu deponieren, zum festen Inventar des Viertels. In der Fabrik war Schmerls Riege von Technikern stolz auf die wachsende Kompetenz, mit der sie die Maschinen warteten und manchmal sogar die Verbesserungen des Erfinders vorwegnahmen, sodass dieser mehr Zeit in seinem »Laboratorium« verbringen konnte. Er genoss die Arbeit in seinem Kühlraum im Herzen des Werks, umgeben vom Tosen der Geräte und den trotz der schweren Arbeit gut gelaunten Männern. Dennoch vernachlässigte er nie seine Pflichten als Chefingenieur und traf sich regelmäßig mit Mr. Levine, damit alles in geregelten Bahnen verlief. Nicht immer lief alles in geregelten Bahnen, und er und Levine waren auch nicht immer einer Meinung, aber Schmerl vermutete, dass diese Unstimmigkeiten mehr mit der Freude des Alten an einem hitzigen Wortwechsel zu tun hatten als mit irgendeinem echten Zankapfel; und daher bemühte sich der Erfinder, stets seinen Teil zu der Auseinandersetzung beizutragen. So war sein Leben abwechslungsreich genug, um immer wieder auch seine tief verwurzelte Sehnsucht zu zerstreuen, und stets hatte er die Befriedigung, mit seinen Anstrengungen den abwesenden Freund reich zu machen.
    Dann traf eine Nachricht im Eishaus ein, die der Werkleiter an den Chefingenieur weiterreichte. Darin wurde Schmerl zum Abendessen in einem vornehmen Haus in der Upper West Side gebeten. Zunächst konnte er seine Aufregung kaum im Zaum halten, dann versuchte er, sich zu beruhigen und so zu tun, als wäre nichts Besonderes an der Einladung. Sicher wollte Max nur über Geschäftliches mit ihm reden, denn was hatten sie in jüngster Zeit noch gemeinsam? Vielleicht wollte Max ihn jetzt, da das Unternehmen Fahrt aufgenommen hatte, davon in Kenntnis setzen, dass seine Dienste nicht mehr benötigt wurden. Nein, das konnte nicht sein, sie waren gleichberechtigte Teilhaber, obwohl Schmerl Max als den faktischen Leiter des Ice Castle betrachtete, das andererseits den Namen Karp trug: ein Paradox. Dann fiel Schmerl ein, dass er wichtig für das Unternehmen war und dass solche Überlegungen jeder realen Grundlage entbehrten. Warum war er dann so erfüllt von Furcht und Vorfreude, als er am Abend die Hochbahn in den Norden nahm?
    Im Zug stellte sich jedoch gleich die Entspannung ein, die er stets empfand, wenn er das Viertel verließ, und er fragte sich, warum er es nicht öfter tat. Weil Max nicht da war, um ihn zu begleiten - das war der Grund. Im Gegensatz zum flachen Raster des Gettos rollte der Riverside Drive bergauf und bergab, passend zu den eleganten Wohnungen an den Hügeln gegenüber den Sandsteinklippen am New-Jersey-Ufer des Flusses. Es war die Woche des sukkot, des Laubhüttenfests, und auf einer Reihe von Balkonen waren schattige Lauben zu sehen, Welten entfernt von den lulawß, die wie Eselsohren aus den Feuertreppen in der Lower East Side sprossen. Unter der Markise von Max’ Gebäude stand ein massiger Portier in einem Mantel mit Epauletten, und Schmerl machte sich darauf gefasst, durch die Beine des Hünen zu kriechen, sollte er ihm den Eintritt verwehren. Doch als er sich vorgestellt hatte, tippte sich der Mann an den Mützenschirm und führte ihn durch die Eingangshalle zu einem handbetriebenen Aufzug, den er durch Ziehen an einem Stahlkabel in Gang setzte. Ein wenig benommen von der schnellen Fahrt und der Pfauentapete im Korridor des fünften Stocks, glaubte Schmerl, dass Max zu einer ganz anderen Daseinsebene aufgestiegen war; und selbst der Anblick einer mesusa aus Blech am Türpfosten seines Freunds konnte ihn kaum aufmuntern. Er klopfte halb in der Erwartung, von einem Diener empfangen zu werden, und war einigermaßen erleichtert, als Max in aufgeknöpfter Weste und Nadelstreifenhemd persönlich öffnete.
    »Gut jontew«, grüßte Max, dann: »Verzeihst du mir, bin ich a bißl ongepatschket von der Arbeit am Herd.« Das brachte Schmerl wieder leicht aus der Fassung, denn er fragte sich, seit wann zwischen ihnen solche Entschuldigungen notwendig waren. Aber irgendetwas an Max war tatsächlich verändert, und als sie sich die Hände schüttelten, konnte Schmerl seinem Freund nicht in die Augen schauen. Als ihn der jungerman durch die Wohnung

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