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Der gefrorene Rabbi

Der gefrorene Rabbi

Titel: Der gefrorene Rabbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Stern
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hinfälliger Kontenbücher und quälender Erinnerungen herumzusitzen? Zumindest konnte die Fahrt sie auf andere Gedanken bringen und im günstigen Fall sogar ihr Interesse am Leben erneuern. Möglicherweise erwies sich Memphis, das nicht mit unangenehmen Assoziationen verbunden war, als ein geeigneter Ort für ein neues Zuhause. Esther besprach ihren Plan mit Jecheskel und Jigdal, die ebenfalls der Meinung waren, dass sich ein Versuch lohnte, und zudem anboten, die Frauen bis zu ihrem Bestimmungsort zu begleiten. Auch Genosse ben Blish konnte sich für seine Vortragstournee einen Abstecher durch die südlichen Staaten vorstellen und regte daher an, die Reise in mehreren Etappen zu machen. Denn trotz seines selbstsicheren Auftretens auf dem Podium war Zerubbabel ein furchtsamer Mann, dem die Vorstellung missfiel, allein durch die entlegeneren Regionen einer Nation von gojim zu fahren.
    Als die Zeit kam, der Witwe den Vorschlag zu präsentieren, rechneten alle mit entschiedenem Widerstand. Doch nachdem ihre Wünsche im Hinblick auf die Versicherungsleistungen Gehör gefunden hatten - die Anwälte wurden angewiesen, das Geld als Abfindung an die arbeitslos gewordenen Angestellten des Ice Castle zu verteilen -, wurde die emotional verarmte Jochebed zu einem sanftmütigen Lamm. Sie folgte dem Rat ihrer Mittrauernden mit der Resignation einer Gefangenen, der ihr unumstößliches Urteil gesprochen worden ist; ein Urteil, das sie ihrer Meinung nach verdient hatte. Zunächst waren jedoch Vorbereitungen nötig: Die Wohnung musste untervermietet, Schmerls und Jochebeds Gemeinschaftskonto aufgelöst und das Grundstück an der Canal Street mithilfe von geeigneten Maklern versteigert werden, um mit dem Erlös die Investoren des Ice Castle zu beschwichtigen. Zuletzt war es beinahe berauschend, wie schnell das Leben, das Jochebed mit ihrem chimärischen Gatten geführt hatte, und mit ihm die tüchtige Geschäftsfrau, die sie einmal gewesen war, ausgelöscht waren. Mehr als nur nachlässig in ihrem Aussehen, schien sie wieder zu der ambivalenten Existenz aus der Zeit vor ihrer Ehe zurückgekehrt zu sein. Von ihrem prachtvollen Haar, das sie sich abgeschnitten hatte oder das ihr ausgefallen war, waren nur noch die Borsten einer billigen Bürste übrig, und sie hatte das Trauerkleid gegen eine Hose ihres toten Mannes getauscht; außerdem ging sie gebückt, und zwischen ihren Schulterblättern deuteten sich erste Anzeichen eines Buckels an. Ihrer Umgebung galt sie als offenkundig verstört, doch wenigstens war sie fügsam, ein kleiner Segen, für den alle dankbar waren.
    Es gab noch ein letztes Detail, um das sich die Brüder kümmern mussten, eines, bei dessen Erwähnung sich die Witwe die Finger in die Ohren steckte und schrie: »Jemach schmo!« Möge sein Name ausgelöscht werden. Hatten nicht sowohl ihr Vater als auch ihr Mann einen sentimentalen Fetisch aus diesem entsetzlichen Wesen in seinem eisigen Winterschlaf gemacht? Und was für ein unzeitiges Ende hatte beide ereilt! Völlig außer sich gab Jochebed kund, dass man den Rabbi ihretwegen auf einen Misthaufen werfen sollte, wo er schmelzen und als Futter für die Krähen verrotten konnte. So war es an den Brüdern, sich aus Achtung vor dem Andenken ihres Vaters und eines Toten, den sie nie kennengelernt hatten, um den rebbe zu kümmern. Sie veranlassten seine vorübergehende Einlagerung in einem Kellerkühlraum des Bestattungsinstituts Duckstein an der Henry Street. Bevor der Sarg wieder abgedichtet wurde, wurde er mit Wasser aufgefüllt, um die während des Brandes geschrumpfte gefrorene Masse mit einem Mittel zur Ammoniakabsorption wiederherzustellen. Als die vorstehenden Zehen und die pelzigen Ohren des Heiligen wieder mit Eis versiegelt waren, einigten sich die Zwillinge darauf, dass die Wahrung dieser ehrwürdigen Familientradition fortan dem jungen Ruben Karp zufallen sollte, der dringend eine Aufgabe benötigte.
    Nach der Bestattung drückte sich Ruben in entlegenen Winkeln der Wohnung herum; eine ungepflegte, vor sich hin brütende Gestalt, um die alle einen weiten Bogen schlugen. Seit dem Brand hatte er sein Gesicht nicht mehr gewaschen, vielleicht in der Annahme, dass die Ascheflecken auf seiner Stirn von seinem Vater stammten. Aber diese Nachlässigkeit hatte ihren Grund weniger in Ehrfurcht als in dem Wunsch, zur Strafe für seine Tat ein Zeichen zu tragen wie Kain. Er enthielt sich jeder Teilnahme an den minjonim der Trauernden, die stattfanden, wenn genügend

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