Der gefrorene Rabbi
Weiteres dichtgemacht wird. Anscheinend läuft eine Untersuchung gegen Rabbi ben Zephir, und sein Unternehmen soll geschlossen bleiben, bis sie das Ergebnis haben.« Plötzlich hörte sie mit dem Gezappel auf und schaute Mr. Karp mit dunkel geschminkten Augen an.
Das war allerdings eine besorgniserregende Neuigkeit. Der Bürgermeister hieß Gaylord und war eine Art atavistischer Befürworter einer Rückkehr zur Apartheid. Er hatte bereits versteckte Anspielungen auf die unbedachte Rassenvermischung im Haus der Erleuchung gemacht. Aber für Julius stand noch im Vordergrund, dass die Überbringerin der schlechten Nachrichten sich bisher nicht vorgestellt hatte.
»Kenne ich Sie?«, fragte er.
»Ein paar von den Anhängern des Rabbis«, fuhr das Mädchen fort, »haben die Kette vor dem Eingang durchgeschnitten und sich im Auditorium verschanzt, das inzwischen von den Bullen umstellt ist. Sie wollen alle verhaften, auch den Rabbi, wegen Hausfriedensbruch und Einbruch. Da ist die Kacke voll am Dampfen.«
»Gibt es hier ein Echo?« Julius starrte hinauf zur Decke und löste den Knoten seiner Krawatte. Er war sich nicht sicher, was er beunruhigender fand: die Nachricht von dem Ereignis oder die Botin. »Ich wiederhole, wer sind Sie?«
Mit einem Hauch von Trotz nannte Lou Ella ihren Namen und fügte fast unhörbar hinzu: »Ich bin Bernies Freundin.«
»Wie bitte?«
Sie wiederholte ihr Geständnis.
»Bernie? Mein Sohn Bernie?«
»Kennen Sie noch nen anderen?«
»Werden Sie hier nicht frech, junge Dame«, blaffte Julius mehr oder weniger aus Prinzip, denn resolutes Auftreten war noch nie seine Stärke gewesen. Dann zurrte er den Schlips wieder fest. »Bernie hat eine Freundin?« Diese Enthüllung musste er erst einmal verdauen, aber seine Besucherin redete bereits weiter.
»Er spielt mit dem Feuer, Ihr Junge. Hält sich für eine Art Heiligen, und das ist er vielleicht auch, aber darauf kommt’s jetzt nicht an.«
»Sie reden von meinem Bernie, der Couch-Potato von Canary Cove?« Doch schon als ihm die Worte über die Lippen kamen, wurde ihm klar, dass sich der Junge verändert hatte, vollkommen verändert, wenn er auch nicht hätte sagen können, wie genau.
»Er ist jetzt mein Bernie«, murmelte Lou Ella und setzte sich einen besitzergreifenden Moment lang gerade auf, ehe sie wieder zusammensackte. »Aber in erster Linie gehört er niemandem, am wenigstens sich selbst. Er ist kaum noch ein Mitglied der menschlichen Gattung. Wissen Sie, was ein zadik ist?«
Julius nahm an, dass das einer dieser hermetischen Jugendslangausdrücke war. »Nein«, antwortete er zögernd.
»Bei allem Respekt, Mr. Karp, wo waren Sie eigentlich die ganze Zeit?«
»Wo ich war ? Ich hab schwer gearbeitet, um Geld zu verdienen.« Und wenn ihr Bericht zutraf, dann war ein erheblicher Anteil dieses Einkommens in ernster Gefahr. Aber wie kam diese kleine Göre überhaupt dazu, ihn hier zu provozieren? Allmählich verlor er die Geduld. »Also, jetzt noch mal von vorn. Sie sind die Freundin meines Sohnes? Seit wann hat Bernie Freundinnen?«
Aber Lou Ella ließ sich nicht vom Thema abbringen. »Ein zadik ist so eine Art jüdischer Swami. Er leidet für alle. Der Typ hat irgendwie die Kontrolle über seine mystischen Organe.«
»Äh?«
»Ekstase ist für so einen ein Klacks. Er kann seinen Körper verlassen, wann er will, manchmal auch, wenn er nicht will, und hinauf in die Herrlichkeit fahren oder hinunter in die Hölle, um die Seele von einem Menschen zurückzuholen, der zu früh gestorben ist. Außerdem begleitet er die Toten ins Jenseits und hält sich nur wegen seiner Gemeinde im Diesseits auf …«
Dem Kaufmann, der von Sekunde zu Sekunde nervöser wurde, kam das alles ziemlich nebensächlich vor. Trotz der alarmierenden Neuigkeiten, die ihm die schillernde Besucherin überbracht hatte, sann Julius noch immer über das Liebesleben seines Sohns nach, und dieser Gedanke versetzte ihm einen unerwarteten Stich. Vielleicht war der Junge doch normal.
»So ein Nullachtfünfzehn-zadik«, fuhr Lou fort, »kann auch Kranke heilen, was ich bei Bernie noch nicht gesehen hab, aber immerhin hat er meine kleine Schwester, die ein bisschen langsam ist, dazu gebracht, dass sie ihr erstes Wort sagt. ›Jingl‹ war es, glaub’ ich. Für einen Autodidakten ist er ziemlich gut, aber er sagt sowieso immer, dass ihm der Rabbi alles beigebracht hat.«
»Seine Freundin.« Julius schielte den Paradiesvogel über den Brillenrand an. »Wer hätte das
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