Der gefrorene Rabbi
hahnartigen Krähen, entweder um seinen Mandanten zu warnen, dass seine Aussage eine falsche Richtung einschlug, oder um ihn schlicht zu übertönen. »Fangen wir einfach mit dem Zeitpunkt an, als der junge Mr. Karp ihr Schlafzimmer betreten hat.«
»Doß ich weiß es nicht mehr. Wie gesogt, doß Letzte, woß ich mich erinnere, sitzt Rosalie, die Mama, woß is a saftiges wajb, auf meinem Gesicht, wann ich bin gleichzeitig bein regel le-regel mit ihrer Tochter, Sie verstehen …« Dem Gemurmel im Saal nach zu schließen, hatten die Anwesenden genau verstanden, und die Finger des Gerichtsschreibers sausten so schnell über die Maschine, dass sich die Tasten verklemmten.
Mr. Frizell versuchte, den Alten gestikulierend darauf hinzuweisen, dass das Gericht genug von seinem schmutzigen Gerede gehört hatte, aber der Rabbi war jetzt voll in Schwung. »Wissen Sie, wie is unten, so is oben; is es emb-a-lem, der heilige zivug, die sexuelle Vereinigung der Menschen, für woß passiert im Himmel. Ha-schem, wenn Er sieht, woß wir tun auf Erden, Er kommt auf Ideen. Dann mit Seiner Braut, Seiner schechina, macht er das Gleiche, und is wiederhergestellt af a wajle im Universum die Ordnung. A wajle hot a jeder eine extra Seele …«
Das Tuscheln, das der Vortrag des zadik im Publikum ausgelöst hatte, wurde vom Anwalt mit lauten »Ruhe!«-Rufen unterbrochen, bis der Rabbi der Bitte schließlich nachkam. Dem Richter zugewandt, nahm Frizell die Brille mit den beschlagenen Gläsern ab und verkündete: »Keine weiteren Fragen mehr, Herr Vorsitzender.« Dann verneigte er sich vor den Damen und Herren der Jury und setzte sich. Er hatte sich mit seiner Niederlage abgefunden.
Wie um den Zauber zu brechen, der immer noch über dem Saal hing, nahm Judge Few eine Pekannuss aus seiner Robe, knackte sie mit dem Hammer und wandte sich kauend an Mr. Womack. »Ihr Scheuge, Schir.«
Mr. Womack hievte seine breite Hinterpartie vom Stuhl und schnäuzte sich in ein Taschentuch mit Monogramm, dessen Inhalt er stirnrunzelnd inspizierte wie Kaffeesatz. Er erinnerte die Geschworenen daran, dass seriöse Mitglieder der psychiatrischen Zunft den Rabbi befragt und für vollkommen zurechnungsfähig erklärt hatten. Nach dieser gewichtigen Äußerung bedachte er den Rabbi mit einem stählernen Starren und wandte sich wieder an den Richter. »Keine Fragen, Herr Vorsitzender.«
In seinem Schlussplädoyer zählte Mr. Womack noch einmal die Gräueltaten des Rabbis auf und pochte darauf, dass den Geschworenen keine andere Wahl blieb, als den Angeklaten schuldig zu sprechen, während Mr. Frizell in geradezu unbekümmerter Art zu bedenken gab, dass der Schein trügen könnte. Aber trotz der feindseligen Atmosphäre, die das Geschehen von Anfang an bestimmt hatte, war seit Rabbi Eliesers Auftritt als Zeuge eine Veränderung eingetreten. Die Presse berichtete, dass seine blasphemische und obszöne Aussage die Anwesenden keineswegs noch mehr aufgebracht, sondern im Gegenteil eine merkwürdige Sympathie in ihnen geweckt hatte. Obwohl den Geschworenen eine Woche lang eingetrichtert worden war, was sie zu tun hatten, brauchten sie ungewöhnlich lang für ihre Beratungen. Der Sprecher las die Entscheidung in fast entschuldigendem Ton vor und wischte sich dazwischen immer wieder die schweißbedeckte Stirn. Doch sobald das Urteil rechtskräftig ergangen und der Alte weggeschafft worden war, wurde das Ganze zu einer flüchtigen Episode, und die Bürger richteten ihr Augenmerk wieder auf die in Flammen stehende Welt.
Im Transportbus zur Vollzugsanstalt in Brushy Mountain kämpfte Cholly Sidepocket gegen den Drang an, sich die Beine an den Knöcheln abzunagen, um sie von den Eisen zu befreien, die man ihm angelegt hatte. Warum war das so? Das passierte ihm doch nicht zum ersten Mal; er wusste doch seit dem Hochsicherheitsknast in seiner Jugend, wie das lief. Dort hatte er sich den Straßennamen verdient, der ihm geblieben war, obwohl er später kaum mehr Pool gespielt hatte. Sidepocket - das Loch, in das die Kugeln versenkt wurden; ein idiotischer Name, aber auch nicht idiotischer als Two-Tone, Sheetrock und Sic Dawg und die anderen Bezeichnungen, mit denen sich seine Kumpels abfinden mussten. Natürlich hatte der Deckname nichts mit dem zu tun, wer er wirklich war, und genau das war der springende Punkt: Cholly hatte nie viel mit dem zu tun gehabt, wer er wirklich war. Zumindest bis er sich bei dem Alten eingeklinkt hatte. Davor war die Welt ein Ort, den man besuchte
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