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Der gefrorene Rabbi

Der gefrorene Rabbi

Titel: Der gefrorene Rabbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Stern
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Vampirfledermäuse ausflogen. Doch das konnte Schmerl nicht abschrecken. Als Rationalist wusste er, dass Kobolde und Dämonen zwar existierten, aber nur Plagegeister waren, die mit dem richtigen Apparat mühelos in Dampf aufgelöst werden konnten - zum Beispiel mit einer elektrisch erhitzten Spule, die den Strom aus übereinandergetapelten magnetischen Münzen bezog, einer sogenannten Volta’schen Säule. (Dass die Spule wie ein Herd auch Wärme erzeugte, war eine angenehme Nebenwirkung.) Von diesem Phänomen las er in dem Buch der Wunder , das er bei dem maßkl zusammen mit einem Stoß Diagrammen gegen ein Abfallprodukt (eine Perle?) eines seiner früheren Experimente eingetauscht hatte. Es war das erste weltliche Buch, das Schmerl je besessen hatte, und obwohl er es anfangs vor lauter Schuldgefühlen gar nicht aufschlagen wollte, vertiefte er sich bald in die illustrierten Beschreibungen der technischen Revolution, die erst so spät nach Schpinsk gelangt war. Doch statt am Fehlen einer religiösen Richtschnur Anstoß zu nehmen, ging der Junge daran, diesen Katalog utilitaristischer Erfindungen einer höchst unpraktischen Anwendung zuzuführen.
    Es folgte eine Zeit fieberhafter Tätigkeit. Beseelt von dem Gefühl, eine Arbeit zu tun, für die er von Gott berufen war, sammelte Schmerl Werkzeug und Stoffe, und wenn er etwas in dem Gerümpel hinter dem Laden seines Vaters nicht finden konnte, schickte er seine Brüder auf die Suche. Die Kleinen hatten das Lumpensammeln (manche hätten vielleicht von Diebstahl gesprochen) im Blut und brachten alles mögliche Zeug in die Mühle, das als Kurbelwellen, Kolben und Verbindungsstücke dienen konnte; sie schleppten ihre Errungenschaften über die Leiter hinauf in den knarrenden Speicher, wo Schmerl sie zu Formen hämmerte, die sich zuletzt zu Motorenteilen zusammenfügten. Aus der Kabbala hatte er von der sonderbaren Fähigkeit des heiligen Ari von Safed erfahren, Seelen zu befreien, die sich im Lauf ihres gilgul in irgendwelchen irdischen Gegenständen verfangen hatten. In diesem Sinne schlug er einen Schienennagel in einen Messingpanzer und brachte ihn zwischen den Polen zweier elektrischer Magnete an, woraufhin sich der Nagel drehte wie ein drejdl. Seine Brüder schnorrten Pferdebürsten, die Schmerl an einem Ofenrohr befestigte, während er erklärte, was sich hinter dem Begriff »Druckverlust« verbarg. Dabei handelte es sich um die Inhalation, die zwischen den Bürsten und dem durch den kreisenden Nagel erzeugten Vakuum entstand. Den ganzen Apparat befestigte er an einem Schmiedeblasebalg, dessen faltigen Körper er mit einem Futtersack aus Segeltuch ersetzte; dann brachte er den Blasebalg - den er als den neschome-sojger bezeichnete, den Seelensauger - verkehrt herum an einem Gartenkarren an, den er und seine Brüder am helllichten Tag über die zerfurchten Schlammstraßen bis zur Schwelle ihres altersschwachen Elternhauses zogen.
    Schmerl hatte beschlossen, dass das Heim der Karpinskis zuerst von den Seelen gereinigt werden sollte, die sich in Spalten und Ritzen verklemmt hatten. Noch bevor er den angemessenen Segen gesprochen und durch Verbindung der Drähte mit der Alkalizelle ein mechanisches Tosen ausgelöst hatte, noch bevor er das aus mehreren Gelenken bestehende Ofenrohr auf die dunkleren Ecken gerichtet hatte, hatte er ein beachtliches Publikum angelockt. Nachbarn spähten durch die lumpenverhangenen Fenster, und bald drang die Kunde auch zu dem Schrotthändler und seiner Frau, die von Todrus’ Trödelladen am Marktplatz herbeieilten. Zusammen mit den anderen Gaffern erblickten sie ihren Sohn, der mit einer dicken Silberschlange rang. Diese tauchte in den gedrungenen Lehmofen, aus dem ein Huhn hervorschoss. Sie schnüffelte zwischen den Einmachfässern herum, schüttelte die Knoblauchflechten durch und grub sich in jeden Winkel des Hauses. Die nervenschwache und ständig schwangere Chana Bindl sank in einem Haufen aus Barchentstoff zusammen, und Todrus musste jemanden zu Avigdor um Riechsalz schicken.
    Dann riss Schmerl mit weit ausholender Geste die Drähte weg, um den Kreislauf zu unterbrechen, nahm den Futtersack vom Blasebalg und zerrte ihn auf, in der Hoffnung, eine Ansammlung gefangener Seelen zu befreien. Zwar wusste er nicht genau, wie diese aussehen sollten, doch er war sich ziemlich sicher, dass der herausrieselnde Staub kein Seelenrückstand war. Die wiederbelebte Chana Bindl verlor erneut die Fassung, als sie feststellte, dass die von ihr so

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