Der gefrorene Rabbi
gewissenhaft geschrubbten Zimmer beschmutzt worden waren, während ihr Mann hin- und hergerissen an seinem Schnurrbart kaute. Einerseits war sein Sohn zur Witzfigur geworden, deren zweifelhafter Ruf bereits zu den gojim vorgedrungen war, andererseits hatte er eine Maschine ersonnen, die ein Haus auf eine Weise säuberte, wie es mit dem besem oder dem Staubwedel nie zu bewerkstelligen gewesen wäre. Noch als er durch die Staubwolken taumelte, um die Finger um Schmerls mageren Hals zu legen, fragte der Schrotthändler ihn, was nötig wäre, um eine ganze Flotte solcher Teppichfeger zu konstruieren.
Aber der neidergeschlagene Erfinder betrachtete seine Maschine als einen Misserfolg ohne erlösenden metaphysischen Wert. Während er seinem Vater durch die gequetschte Luftröhre die Erlaubnis erteilte, mit dem neschome-sojger nach Belieben zu verfahren, dachte Schmerl bereits über eine neue Ausrichtung seiner Forschungen nach. In einem Abriss über die Geschichte der Aerodynamik erklärte das Buch der Wunder , dass die Technik nach den jüngsten Entwicklungen an der Schwelle zu bemannten Flügen stand. Schmerl malte sich einen umfassenden Exodus der Juden mithilfe neuester Ingenieurskunst aus, die eine alija in höheren Sphären ermöglichte, ohne sterben zu müssen. Bei der Umsetzung beging er allerdings den Fehler, den Propeller - der aus den mit straffem Musselin neu bespannten Windmühlenflügeln gefertigt war - nicht am Dach der heimischen Kate, sondern an den Innenbalken zu befestigen. Er fürchtete nämlich, dass seine Eltern, statt im Paradies zu erwachen, die Augen in einem Haus mit einem aufgerissenen Dach aufschlagen würden, durch das die Mitternacht hereinlugte. Doch auch so scheuchte der gottlose Lärm Todrus und Chana Bindl von ihrer groben Matratze auf, von der sie sich in zerknitterten Nachthemden erhoben und hinaufstarrten zu den zuckenden Blättern. Doch hatte der Schrotthändler soeben noch vor Wut geschäumt, spürte er nun eine kühlende Brise im Zimmer, die seinen Zorn linderte und die Stirn seiner Frau umfächelte, bei der sogleich die Wehen einsetzten.
Schmerl hingegen war untröstlich. Er schwor, eine Maschine zu bauen, die so stark war, dass sie das Dach des gesamten Planeten anheben und die Sterne in kreisende Spiralbewegungen versetzen konnte. Doch das Vertrauen in seine eigenen Fähigkeiten hatte einen deutlichen Dämpfer erlitten.
Bei seiner Rückkehr zur Mühle stellte er fest, dass der morsche Speicherboden vom Gewicht der verschiedenen Maschinenteile eingebrochen war. Das völlig verwüstete Gebäude war wie der äußere Ausdruck von Schmerls innerer Verzweiflung, das genaue Gegenbild, wie er meinte, zu seiner Hybris und seinen hochfliegenden Plänen. Jeder Illusion beraubt, gelangte er zu dem Schluss, dass all seine Anstrengungen grundsätzlich fragwürdig waren und nur dem Zweck dienten, ihn von einer anderen Sehnsucht abzulenken; denn trotz seiner unerschrockenen Studien begegnete er den Jungfrauen voller Schüchternheit, die ihrerseits durch seinen Ruf und die glockenförmige Ausbuchtung seiner Wirbelsäule abgeschreckt wurden. Kein anständiger Heiratsvermittler wollte an ihn herantreten. Verzehrt von Reue über seine Eitelkeit, zog sich Schmerl in die zerstörte Mühle jenseits der Sabbatgrenze und der Reichweite seines Vaters zurück, der aus seinen Fehltritten lediglich Gewinn schlagen wollte.
»Jeder Tag ist Jom Kippur«, sagte er zu seinen Brüdern, die ihn inzwischen lieber allein ließen, weil ihnen sein Elend zu langweilig geworden war.
Der Sommer schritt voran mit einer schwülen Hitze, die die Läuse zum Kochen brachte. Diese brüteten ihrerseits eine Typhusseuche aus, die durch das schtetl Schpinsk fuhr und weder gojim noch jehudim verschonte. So viele Beerdigungen fanden statt, dass die Prozessionen wie bei einem Staffellauf vom Friedhof zur schul und zurück zogen. Das Jammern der Weiber an der Strecke war bis zur verfallenen Mühle zu hören, wo ein vorbeikommender Händler die Nachricht hinterließ, dass einer von Schmerls Brüdern - war es Levi oder Melchisedech? - der Krankheit zum Opfer gefallen war. Daraufhin riss sich Schmerl den Aufschlag seines Rocks ab und rief: »Hätte es müssen treffen mich.« Der jüngere Bruder war zur Vergeltung für die Sünden des älteren (so seine Logik) dahingerafft worden. Im darbenden Haushalt der Karpinskis hatten auch vorher schon hin und wieder Geschwister das Zeitliche gesegnet, doch dieser Tod bereitete dem Erfinder
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